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Alexander von Humboldt und Fryderyk Chopin
9. August 2023
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Abb. 1. Das Gemälde „Chopin im Salon des Fürsten Antoni Radziwiłł im Jahr 1829“ von Henryk Siemiradzki (1887).

Anlässlich des 253. Geburtstages Alexander von Humboldts fand in Schlesien eine internationale Konferenz  statt, die sich mit der Beziehung des Universalgelehrten zum damaligen Schlesien und Polen befasste. An dieser Konferenz nahm auch Prof. Andrzej B. Więckowski teil, der über die Verbindung Humboldts zu Fryderyk Chopin berichtete. Wir danken Prof. Więckowski sehr herzlich für seinen ausführlichen Beitrag zu diesem Thema, den er dem Alexander von Humboldt-Kulturforum Schloss Goldkronach e. V. zur Verfügung gestellt hat.

Hier gelangen Sie zu dem Bericht über die seinerzeit stattgefundene Konferenz in Schlesien: https://www.humboldt-kulturforum.de/2022/12/bedeutsame-deutsch-polnische-konferenz-ueber-alexander-von-humboldt-in-schlesien/

Prof. Dr. habil. Andrzej B. Więckowski, geboren 1934 in Tschenstochau (Częstochowa), studierte von 1953 an an der Polytechnischen Universität Stettin (Szczecin) an der Fakultät für Chemische Technologie und Verfahrenstechnik und wurde 1959 Diplom-Ingenieur der Chemischen Verfahrenstechnik, ehe er 1970 am Institut für Physik an der Polnischen Akademie der Wissenschaften in Warschau promovierte und 1984 an der Adam Mickiewicz-Universität in Posen (Poznań) an der Physikalischen Chemie habilitierte. Ab dem Jahr 1959 folgten in seinem Fachbereiche zahlreiche Lehraufträge an den genannten Hochschulen in Stettin, Posen, Warschau, bis er 2008 seine wissenschaftliche Karriere in Grünberg (Zielona Góra) beendete. Als Träger des Goldenen Verdienstkreuzes (1989), des Ritterkreuz des Ordens Polonia Restituta (2002) und der Medaille der Nationalen Bildungskommission (2005) wurden ihm aufgrund seiner wissenschaftlichen Laufbahn und Errungenschaften wichtige Preise zur Ehre.

Alexander von Humboldt und Fryderyk Chopin

von Andrzej B. Więckowski, Poznań, Zielona Góra

Das Gemälde „Chopin im Salon des Fürsten Antoni Radziwiłł im Jahr 1829“ entstand im Jahr 1887 (Abb. 1). Es wurde von Henryk Hektor Siemiradzki (1843–1902) im Auftrag von Karol Kozłowski (1833–1917), dem Pädagogen, Schriftsteller und Herausgeber aus Posen, gemalt. Siemiradzki war bekannt als Maler hauptsächlich antiker und altchristlicher Szenen, sowie als ein Vertreter der Salonmalerei und des Akademismus. Die Maße des Gemäldes (Öl auf Leinwand) sind 143 x 211 x 12 cm. Um Bilder des Gemäldes reproduzieren zu können, schon im Jahr 1888 ließ Kozłowski eine Photogravüre des Gemäldes erstellen, welche der Maler Rudolf Heinrich Schuster (1848–1902) angefertigt hat. Im Gemälde spielt Fryderyk Chopin (1810–1849) ein Klavierkonzert, welchem Mitglieder der Familie Radziwiłł und Gäste aus Berlin zuhören. Fürst Antoni Radziwiłł (1775–1833) hat Fryderyk Chopin im Mai 1825 in Warschau getroffen. Eine der im Gemälde dem Konzert zuhörenden Personen ist Alexander von Humboldt (1769–1859). Das Gemälde zeugt von einer großen Popularität Alexander von Humboldts in Polen.

Im Gemälde „Chopin im Salon des Fürsten Antoni Radziwiłł im Jahr 1829“ ist ein fiktives Ereignis dargestellt, welches in einer von Marceli Antoni Szulc (1818–1898) im Jahr 1873 herausgegebenen Biographie Fryderyk Chopins beschrieben wurde [1]. Aufgrund dieser Beschreibung hat Siemiradzki das Gemälde nach eigener Idee ausgearbeitet.

Die Beschreibung, auf welcher Siemiradzki sich gestützt hat, bildet im Buch von Szulc den zweiten Teil des Kapitels „Trzy salony“ (Drei Salons). Das ganze Kapitel ist aber eine polnische Übersetzung der Erzählung „Drei Salons“ welche in der deutschen Zeitschrift „Die Gartenlaube“ unterschrieben E. P. im Jahr 1868 veröffentlicht wurde [2]. Die Buchstaben E. P. bedeuten die Schriftstellerin Elise Polko, geborene Vogel (1823–1899). Um die Neugier des Lesers zu befriedigen wird an dieser Stelle der ganze zweite Teil der Erzählung „Drei Salons“ von E. P. zitiert:

Drei Salons

Diese bangen, diese süßen

Zauberhaften Töne müssen

In das Land der Schatten dringen

Und die Todten wiederbringen.

Lenau.

… Etwa sieben Jahre später saß Fréderic Chopin in Berlin im Salon des Fürsten Anton Radziwill, nicht mehr der scheue Knabe, ein ernster, junger Mann, ein aufgehendes Künstlergestirn ersten Ranges. Diesmal flogen nicht polnische Frauen mit ihrer Grazie unter den Klängen seiner Weisen an ihm vorüber, man saß in lautlosen Gruppen umher und lauschte jenen wunderbar schwermüthigen Weisen, die Chopin Notturno’s, „Träumereien der Nacht“ nannte.

Die Aristokratie der Geburt und des Geistes und die Vertreter der Kunst waren in dem Musikzimmer des fürstlichen Hauses versammelt, dessen Honneurs die liebenswürdige Fürstin machte. Man sah den alten Zelter und den jungen Humboldt, Bernhard Klein und Louis Berger, Varnhagen und dazwischen eingestreut wie Blumen die reizenden Frauen.

Neben dem Flügel stand eine schlanke Mädchengestalt, das Köpfchen ein wenig geneigt, in einem einfachen, weißen Kleide, das bis zur Spitze der kleinen Füße herabfloß. Die rosigen Lippen waren halb geöffnet zu einem träumerischen Lächeln, der ganze Ausdruck des holden Gesichtes zeigte ein Gemisch von Wehmuth und Entzücken. Tief gesenkt deckten die langen Wimpern die seelenvollsten Augen, ihr Blick hing unverwandt an jenen Händen, die eben die letzten Tacte des C-moll-Notturno’s spielten. Die ganze Erscheinung erinnerte an die zarte Schönheit einer eben erblühten weißen Rose. Es war die Prinzessin Elise Radziwill. Und als Chopin geendet, begegnete er zwei Augen, die in hellen Thränen standen. Und tiefer noch als damals beim Anschauen jenes Kinderbildes empfand die Künstlerseele vor dieser Mädchengestalt: „sie ist ein Engel!“

Die Prinzessin Elise Radziwill war die erste deutsche Frau, die den Zauber dieses wunderbaren Spieles und der wunderbaren Schöpfungen Chopin’s voll empfand und sich ihm rückhaltlos überließ. „Nie hörte ich solche Melodieen und nie werde ich Herzergreifenderes hören,“ sagte sie wiederholt, und während seines Aufenthaltes in Berlin hatte Chopin keine begeistertere Verehrerin dort, als die junge Fürstin. Fast jeden Abend verlebte der Schützling Radziwill’s im Musiksaale seines hohen Gönners, und man musicirte dort bis tief in die Nacht hinein. Dort war es auch, wo Chopin den Fürsten Cello spielen hörte, mit wahrer

Meisterschaft, und den größten Theil des „Faust“ und die Gretchenlieder sang die süße Stimme der Prinzessin.

Schöne helle Tage zogen an dem jungen Musiker vorüber; es gab Stunden, wo er den Schmerz des Scheidens aus der theuern Heimath, an der seine Seele so leidenschaftlich hing, vergaß. Aber sie nahmen ein Ende; Chopin zog weiter nach Frankreich.

Eine weiße Rose schenkte die Prinzessin dem neuen Freunde beim Abschied. „Auf Wiedersehen!“ lächelte sie ihm zu.

Kaum zwei Jahre später lagen Kränze von weißen Rosen auf den Särgen von Vater und Tochter. Fürst Radziwill, der Componist der Osterchöre, starb in der Osternacht des Jahres 1833, und wenige Monate später folgte ihm sein geliebtes Kleinod. …

 E.P.“ [2].

Folgende Personen, teilweise erwähnt bei E. P. (Elise Polko) [2], sind im Gemälde zu erkennen (von links nach rechts):

  1. Carl Friedrich Zelter, geb. 11.12.1758 in Berlin, gest. 15.05.1832 in Berlin, Musiker, Komponist und Musikpädagoge.
  2. unbekannter Mann.
  3. unbekannte Frau.
  4. Fryderyk Franciszek Chopin, geb. 22.02.1810 in Żelazowa Wola, gest. 17.10.1849 in Paris, Komponist und Pianist, seit 1831 in Paris.
  5. unbekannte Frau.
  6. Rahel Friederike Antonie Varnhagen von Ense, geborene Levin, geb. 19.05.1771 in Berlin, gest. 7.03.1833 in Berlin, verheiratet mit Karl August Varnhagen von Ense, einflussreiche Schriftstellerin, war befreundet mit Elise Polko (E. P.).
  7. Anton Heinrich Fürst von Radziwiłł (polnisch: Antoni Henryk książę Radziwiłł na Nieświeżu herbu Trąby), geb. 13.06.1775 in Vilnius, gest. 7.04.1833 in Berlin, Politiker, Komponist, Violoncellist, Kunstmäzen und Großgrundbesitzer, Statthalter des preußischen Großherzogtums Posen 1815–1830, preußischer Generalleutnant. Fürst Antoni Radziwiłł wurde berühmt als erster Schöpfer der Musik zum Drama „Faust“ von Johann Wolfgang von Goethe (1749–1832). Antoni Radziwiłł war in guten Beziehungen mit Alexander von Humboldt. Nach dem Tod des Fürsten Radziwiłł im Jahr 1833 wurde sein Leichnam zunächst in der Erzbischöflichen Kathedrale zu den Heiligen Aposteln Peter und Paul in Posen beigesetzt, dann im Jahr 1838 in die Kirche der Mutter Gottes vom (Spitzen) Tor der Morgenröte (polnisch: Kościół p.w. Matki Bożej Ostrobramskiej) in Antonin übergeführt. Die Kirche ist gleichzeitig das Mausoleum der Familie Radziwiłł.
  8. Karl August Varnhagen von Ense, geb. 21.02.1785 in Düsseldorf, gest. 10.10.1858 in Berlin, verheiratet mit Rahel Levin, Biograph und Diplomat.
  9. Elise Friederike Luise Martha Prinzessin von Radziwiłł, geb. 28.10.1803 in Berlin, gest. 27.09.1834 in Bad Freienwalde (Oder), Tochter von Antoni Radziwiłł, Jugendliebe und Verlobung mit Wilhelm Friedrich Ludwig von Preußen (1797–1888), dem späteren deutschen Kaiser Wilhelm I., der Kaiser hat ihr Bild bis ans Ende seines Lebens aufbewahrt, Elise war niemals verheiratet.
  10. Auguste Luise Wilhelmine Wanda Fürstin Czartoryski, Prinzessin von Radziwiłł, geb. 29.01.1813 in Berlin, gest. 16.09.1845 in Ruhberg (Ciszyca) bei Schmiedeberg im Riesengebirge (Kowary), Tochter von Antoni Radziwiłł, verheiratet mit Adam Konstanty Fürst Czartoryski (1804–1880).
  11. unbekannte Frau.
  12. Bernhard Joseph Klein, geb. 6.03.1793 in Köln, gest. 9.09.1832 in Berlin, Komponist.
  13. Carl Ludwig Heinrich Berger, geb. 18.04.1777 in Berlin, gest. 16.02.1839 in Berlin, Komponist, Pianist, Pädagoge.
  14. Friedrich Wilhelm Heinrich Alexander von Humboldt, geb. 14.09.1769 in Berlin, gest. 6.05.1859 in Berlin, Bergbaubeamter, Naturwissenschaftler und Forschungsreisender.
  15. Friederike Dorothea Luise Philippine Fürstin von Radziwiłł, Prinzessin von Preußen, geb. 24.05.1770 in Berlin, gest. 7.12.1836 in Berlin, verheiratet mit Antoni Radziwiłł, Nichte des preußischen Königs Friedrich II., Friedrich der Große (1712–1786).
  16. unbekannter Mann.

Die Orte, in welchen die ersten Ausstellungen des Gemäldes stattgefunden haben, waren:

1887 – die Königliche Akademie der Künste zu Berlin, und Anfang Dezember – die Gesellschaft zur Förderung der Bildenden Künste (Zachęta) in Warschau,

1888 – im Frühling – in Sankt Petersburg und Moskau, im Juni – in dem Polnischen Theater (Teatr Polski) in Posen [3], und Mitte Juli – in den Tuchhallen (Sukiennice) in Krakau.

Von der Ausstellung in Posen hat ein unbekannter Kunstkritiker in der Tageszeitung eine Beurteilung des Gemäldes veröffentlicht. Hier wird der Wortlaut der Rezension in Übersetzung wiedergegeben [3]:

Chopin bei Fürst Radziwiłł,

Siemiradzkis Gemälde auf einer Ausstellung in Posen.

Chopin spielt im Salon von Fürst Antoni Radziwiłł, ein Thema, das überhaupt nicht ähnlich den üblichen Themen Siemiradzkis ist, die uns meistens in die antike Welt führen, und geben dem Künstler die Möglichkeit, seine Meisterschaft bei der Nachbildung nackter oder mit losen Draperien behängter Körper, bei der Erfassung der Landschaften, die den Glanz, die Bläue und die Hitze des Südens einatmen.

Der Salon, und dies ein Salon der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts, mit seinen undankbaren Kleidern und karikierten Frisuren und steifen Accessoires, die Handlung konzentriert auf dem Spiel an einem gar nicht malerischen Klavier, war eine schwierige Aufgabe, aus der Siemiradzki siegreich hervorging. Das Gemälde vermittelt den gewollten Eindruck einer häuslichen Szene, für Interessierte wohl sehr lieb, für Fremde aber schon sehr anspruchsvoll, wegen der hervorragenden Technik, der dargestellten Persönlichkeiten und schließlich der umrissenen Neigung, welche den jungen Virtuosen mit der schönen Prinzessin zu verbinden scheint, die am Lehnstuhl ihres Vaters steht.

Das gesamte Licht ist nicht auf den Helden des Abends gerichtet, sondern auf die Gruppe der Zuhörer, die das Zentrum des Gemäldes einnehmen, diese Gruppe besteht aus dem Hausherr des Gemäldes, Fürst Antoni Radziwiłł, der selbst Musiker und Komponist ist, und daher dazu in der Lage ist Chopins Genie zu schätzen, dem er auch mit sichtlichem Vergnügen zuhört. Neben ihm steht seine Tochter in einem weißen Satinkleid mit einer weißen Rose in der Hand.

Ihr schönes, regelmäßiges Profil, das mit langen blonden Locken umschlossen ist, spiegelt sich vor dem Hintergrund der Wände des Salons wider. Der Blick ist auf den Spieler gerichtet, der gegenseitig nur sie mit erhobenem Kopf und verträumtem Blick zu sehen scheint. Hinter dieser liebenswerten Figur, ähnlich dem Engel der Inspiration, steht ihre

Schwester Prinzessin Wanda, ein ganz anderer Typ. Ihr fröhliches, geistreiches Gesichtchen hat nichts mit Elizas ernsthafter Schönheit zu tun.

Rechts sitzt Fürstin Radziwiłł in Haustracht mit einer schlichten weißen Haube auf dem Kopf, und neben ihr zeugt Humboldts denkender, charakteristischer Kopf mit einem Ausdruck lebhafter Begeisterung von der Vielseitigkeit des großen Wissenschaftlers, dem in der Tat nichts Menschliches fremd war.

Unbekannte, mehr oder weniger glückliche Gestalten umgeben die Hauptfiguren. Im Vordergrund vervollständigt eine schöne junge Frau in grünem Kleid, den Zuschauern den Rücken zugewandt, den Zuschauerkreis; hinter dem Klavier sitzt eine auch junge und schöne Brünette in einem gelben Kleid mit Ausschnitten, sich dagegen lehnend; hinter ihr ist eine alte Dame, herausgeputzt und entsetzlich hässlich, eine Art Fleck in der sympathischen Versammlung. Auf der linken Seite ist eine Gruppe von einer Frau und zwei Männern zu sehen, von denen einer besonders exquisit in einem Armstuhl sitzt.

Der Held des Abends sitzt mitten im Salon am Klavier, sein Kopf ist von langen Haaren umgeben, er ist dargestellt wie alle Hauptpersonen des Gemäldes nach zeitgenössischen Bildern, der Kopf ist seltsam schön, seltsam ausdrucksstark, er zeigt die Kreativität, Intelligenz und das Gefühl, das Chopin einen besonderen Platz unter allen anderen Künstlern einräumte. In ihm ist die erlesene Natur zu erkennen, die er sich sein ganzes Leben lang bewahrt hat und die jetzt unter den Blicken der schönen Prinzessin vor Rührung zu zittern scheint.

Abgesehen von dieser charakteristischen spirituellen Seite, die originalgetreu nachgebildet wurde, könnte man Chopins Figur jedoch ein unästhetisches Aussehen des gesamten Oberkörpers und insbesondere der unteren Gliedmaßen vorwerfen, die aufgrund ihrer Dünne, Steifheit und Farbe den Eindruck von hölzernen Beinen erwecken. Daran ist wohl die Position des Künstlers am Klavier schuld, aber die Kunst des Malers liegt darin, ähnliche Haken zu vermeiden.

Vielleicht hätten wir auch lieber mehr Licht auf Chopins Kopf gehabt, anstatt uns nur auf den Fürsten und seine Familie zu konzentrieren, aber das kann man Siemiradzki nicht vorwerfen, zumal die Figur des Fürsten wunderschön eingefasst und gemalt ist.

Das ganze Bild ist in einem gedämpften, zugleich aber warmen Ton gehalten, es ähnelt überhaupt nicht den sonnigen Farben, die der Bildner gerne und zu verwenden weiß, und erweckt sogar den Eindruck einer alten Leinwand. Damit wollte Siemiradzki sie wohl auf die Epoche übertragen, ihr einen zeitgemäßen Charakter verleihen mit jenen riesigen Halstüchern, Hochsteckfrisuren und eng anliegenden Untergewändern, die Chopins Schlankheit so unglücklich betonen.

Der Salon von Fürst Radziwiłł ist künstlich beleuchtet, die Szene spielt sich offenbar am Abend ab. Dies wird dem Betrachter durch brennende Kerzen des Kronleuchters erklärt, der durch die offene Tür zum anderen Raum zu sehen ist. In der Tür unterhalten sich zwei Männer, was dem Ganzen noch mehr Bewegung und Leben verleiht.

Es erübrigt sich hinzuzufügen, dass die Perspektive überall perfekt gewahrt ist, dass die Figuren vortrefflich aufgestellt sind und sich mit größter Freiheit bewegen könnten, dass die Gruppierung voller Natürlichkeit ist, mit einem Wort, dass es technisch sehr geringe

Beanstandungen gibt, welche man ihm machen könnte, wenn man das unbedingt machen wollte.

 Ku. Po.“ [3].

1891 hat Siemiradzki die Gestalt von Chopin erneuert und Kozłowski hat das Gemälde der Familie Radziwiłł verkauft. 1892 wurde es in Paris ausgestellt. Dann aber 106 Jahre lang galt das Gemälde als verschollen, bis es im Jahr 1998 im Auktionshaus Sothesby’s New York wieder aufgetaucht ist und von John Radziwiłł aus New York gekauft wurde. In den Jahren 2021–2022 wurde das Gemälde nach Polen ausgeliehen. Man konnte das Gemälde im Museum in Nieborów (Geschichtsdenkmal Nieborów und Arkadia) und im Königsschloss in Warschau, besichtigen.

Als Orte in welchen das Konzert von Chopin stattfinden konnte, wurden von verschiedenen Forschenden folgende drei Residenzen des Fürsten Radziwiłł in Betracht genommen:

  1. Das Palais Radziwill, genannt auch Palais von der Schulenburg, Reichskanzlerpalais oder Alte Reichskanzlei, in der Wilhelmstraße 77 in Berlin (Abb. 2) [3]. Im Jahr 1869 hat Otto von Bismarck (1815–1898) das Palais gekauft, welches dann im Jahr 1875 vom Deutschen Kaiserreich als Reichskanzlei erworben wurde [4], [5].
  2. Der Statthalteramtsitz (Statthalterpalais) im ehemaligen Jesuitenkolleg in Posen (heute Stadtverwaltung) (Abb. 3) [6].
  3. Das Jagdschloss Radziwiłł in Antonin (früher Szperek), liegt 130 km südöstlich von Posen. Das Projekt des Schlösschens hat Karl Friedrich Schinkel (1781–1841) im Jahr 1820 entworfen und der Bau wurde in den Jahren 1822–1824 ausgeführt [7]. Das Jagdschloss besitzt die Form eines vierstöckigen Oktogons. In der Mitte der Halle bildet eine steinerne Kolossalsäule den Kamin mit zwei Feuerstellen (Abb. 4) [8], [9]. Das Jagdschloss wurde zum Lieblingsaufenthalt der Familie Radziwiłł.

Schon Elise Polko [2] hat das von ihr beschriebene fiktive Konzert im Salon des Fürsten im Palais Radziwill in Berlin lokalisiert. In einem Brief schreibt Chopin an seinen Freund Tytus Sylwester Woyciechowski (1808–1879) folgende Worte:

An Tytus Woyciechowski in Poturzyn. Aus Warschau, den 9. September 1828.

Liebster Tytus!

… Ich fahre heute nach Berlin. Zu einer Oper von Spontini; … aber der Grund für all das sind die Affen aus allen europäischen Kabinetts. Nach dem Vorbild der Konventionen in den Kantonen der Schweiz, und später in Münich, ermächtigte der preußische König seine Universität, bedeutende Gelehrte Europas zu Sitzungen von Naturforschern unter der Leitung jenes berühmten Humboldt einzuladen. … Wie auch immer, … Lichtenstein, der Sekretär jener Versammlung … ist Mitglied der Sing-Akademie und in guter Harmonie … mit Zelter, dem Präsidenten dieser Musikanstalt. … Ich würde mich freuen, dort Radziwiłł aus Posen zu finden, … der mit Spontini brüderlich befreundet ist. … ” [10].

Auffallend und interessant ist, dass in diesem Brief Chopins, drei Namen von Personen sich befinden (Humboldt, Zelter, Radziwiłł), die auch im Gemälde von Siemiradzki, außer Chopin selbst, dargestellt worden sind. Außerdem sei es zu bemerken, dass alle im Gemälde dargestellten Personen entweder Mitglieder der Adelsfamilie Radziwiłł waren, oder in den Kunstkreisen Berlins wirkten.

Auf dem Rückweg von Berlin hat Chopin in ten Tagen 30.09.–3.10.1828 Posen besucht, wo er von Teofil Wolicki, dem Erzbischof von Gnesen und Posen, Primas von Polen, empfangen wurde und auch den Fürsten Antoni Radziwiłł besucht hat. Ob Chopin in Posen ein Konzert gegeben hat, ist nicht dokumentiert, aber von manchen Biographen Chopins wird behauptet, dass Chopin nicht nur ein Konzert vorgeführt hat, aber auch gemeinsam mit dem Fürsten spielte.

Abb. 2. Das Palais Radziwill (Hôtel de Radziwill) in Berlin.

Am 15. September 1826 während seiner Rückreise von Bad Reinertz (Duszniki-Zdrój) nach Warschau hielt sich Chopin mit seiner Mutter und seinen zwei Schwestern für ein paar Stunden lang im Jagdschloss Antonin auf. Damals hat Elise Radziwiłł in ihrem Stammbuch Chopin zum ersten Mal porträtiert. Im September 1828 während des Treffens in Posen hat

Fürst Radziwiłł den schon berühmten Komponist nach Antonin eingeladen. Der nächste Aufenthalt Chopins in Antonin hat vom 26. Oktober bis zum 5. November 1829 stattgefunden. Elise Radziwiłł hat den Komponisten zum zweiten Mal porträtiert (Abb. 5). Als Fryderyk Chopin in der Nacht vom 5. zum 6. November 1830 über Antonin nach Dresden fuhr, hat er die Ortschaft zum letzten Mal gesehen.

Es ist eine Ironie des Schicksals, dass in den Jahren 1933–1945 Adolf Hitler (1889–1945), sowohl im ehemaligen Palais Radziwill, der damaligen Reichskanzlei in Berlin, wohnte, als auch im Jahr 1941 das Jagdschloss in Antonin ihm von Michał (Władysław Karol Jan Alojzy Wilhelm Edmund Robert Michał) Radziwiłł (1870–1955) als Geschenk zu seiner Verfügung gestellt wurde. Die Ortschaft Antonin wurde in Antonshof umbenannt.

Abb.3. Das ehemalige Jesuitenkolleg in Posen.

Abb.4. Das Jagdschloss der Familie Radziwiłł in Antonin [7].

Abb. 5. Am Jagdschloss in Antonin angebrachte Gedenktafel, welche an die Aufenthalte von Fryderyk Chopin in den Jahren 1827 und 1829, erinnert.

Der Ethnologe und Kulturhistoriker, Krzysztof Zielnica (1936–2012) hat sich mit den Beziehungen Alexander von Humboldts zu Polen eingehend befasst [11]. Zielnica nahm auch Stellung zu der Möglichkeit, dass alle drei Personen, Chopin, Humboldt und Radziwiłł, gleichzeitig sich begegnen konnten. Alle drei Personen haben sich aber wirklich während der VII. Versammlung der Gesellschaft der Deutschen Naturforscher und Ärzte in Berlin im Jahr 1828 gesehen. Die Versammlung begann am 18. September 1828 und schon am 16. September 1828 schrieb Chopin an seine Familienangehörigen in Warschau:

… Gleich am Tage unserer Ankunft nahm mich Professor Jarocki zu Herrn Lichtenstein, wo ich Alexander von Humboldt gesehen habe. …“.

Zielnica bezweifelt aber die Glaubwürdigkeit des auf dem Gemälde sichtbaren Jahres 1829, weil in der Zeit vom 12. April bis zum 28. Dezember 1829 Humboldt während der russisch-sibirischen Reise sich von Berlin fern hielt. Und im Anfang des Jahres 1829 Humboldt war in den Nachtstunden mit den Messungen der magnetischen Deklination in zeitlichen Abständen beschäftigt.

In den Tagen 23.–24. Mai 1830 war Alexander von Humboldt im Gefolge des Kronprinzen Friedrich Wilhelm in Posen und beide waren beim Statthalter, Fürst Anton Radziwiłł und seiner Familie im Jesuitenkollegium zu Gast. Die Weiterfahrt führte alle Personen nach Warschau zu den Feierlichkeiten der Eröffnung des polnischen Sejm  anlässlich des Jahrestags der Krönung des russischen Zaren Nikolaus I. zum König von Polen (am 24. Mai 1829 in Warschau). Fürst Anton Radziwiłł traf sich mit dem dort wohnenden Fryderyk Chopin. Alle drei im Gemälde von Siemiradzki dargestellten Personen konnten sich also auch in Warschau getroffen haben.

Als ein Wahrzeichen und Zeugnis der Berühmtheit von Fryderyk Chopin und Alexander von Humboldt darf wohl das spektakuläre Treffen von zwei nach ihnen benannten Segelschiffen dienen (Abb.6).

Abb. 6. Begegnung von zwei Segelschiffen: die Zweimast-Brigg „Fryderyk Chopin“ und die Dreimast-Bark „Alexander von Humboldt II“.

Der Verfasser dieses Artikels ist schon früher mit dem Thema des Gemäldes von Siemiradzki in Berührung gekommen (Abb. 7).

Abb.7. Der Präsident der Societas Humboldtiana Polonorum in den Jahren 1989–1998, Prof. Dr. habil. Waldemar Pfeiffer (rechts) und der Verfasser dieses Artikels betrachten das Bild einer Kopie der Photogravüre des Gemäldes von Siemiradzki im Restaurant „Tosca“ in Posen am 30.10.1998.

Der Verfasser dankt bestens Herrn Professor Hubert Orłowski für seine Bemerkungen zum Manuskript.

Literatur

[1] Fryderyk Chopin i utwory jego muzyczne. Przyczynek do życiorysu i oceny kompozycyi artysty, napisał M. A. Szulc, nauczyciel wyższy przy gimn. ad St. Mar. Magd. w Poznaniu. Poznań. Nakładem Księgarni Jana Konstantego Żupańskiego. [Fryderyk Chopin und seine Musikwerke. Beitrag zur Biographie und Einschätzung der Kompositionen des Künstlers, verfasst von Marceli Antoni Szulc, Oberlehrer beim Gymnasio ad Sanctam Mariam Magdalenam in Posen. Posen. Im Verlag der Buchhandlung von Jan Konstanty Żupański]. 1873. Seiten 274–275., https://pbc.gda.pl/dlibra/publication/2026/edition/14075?language=en

[2] E. P. [Elise Polko], Drei Salons, Die Gartenlaube, 1868, Heft 2, Seiten 632–634. https://de.wikisource.org/wiki/Drei_Salons, https://www.digitale-sammlungen.de/en/view/bsb10498418?page=220,221

[3] Ku. Po., Chopin u ks. Radziwiłła, obraz Siemiradzkiego na wystawie w Poznaniu. Dziennik Poznański, R. 30, nr 138, 17 czerwca 1888, strona 3 [Ku. Po., Chopin bei Fürst Radziwiłł, Siemiradzkis Gemälde auf einer Ausstellung in Posen, Jahrgang 30, Nr. 138, 17. Juni 1888, Seite 3].

[4] [unbekannter Verfasser], Die zukünftige Wohnung des Reichskanzlers. Eine historische Erinnerung, Die Gartenlaube, 1875, Heft, 30, Seiten 511-513. https://de.wikisource.org/wiki/Die_zuk%C3%BCnftige_Wohnung_des_Reichskanzlers

[5] Werner von Westhafen, Das Hotel de Radziwill, Kreuzberger Chronik, Ausgabe 190, Juni 2017. https://www.kreuzberger-chronik.de/chroniken/2017/juni/strasse.html

[6] Jesuitenkollegium, Posen, Online, https://www.poznan.pl/mim/public/turystyka/pages.html?id=37&ch=51&p=2643&instance=1017&lang=de&lhs=publications&rhs=publications

[7] Karl Friedrich Schinkel. Das architektonische Werk heute / The architectural work today, herausgegeben von / edited by Hillert Ibbeken, Elke Blauert, Edition Axel Menges, Stuttgart / London 2001, Seiten 28–29, 316, 332, https://docplayer.org/55730566-Hillert-ibbeken-and-elke-blauert-eds-karl-friedrich-schinkel-das-architektonische-werk-heute-the-architectural-work-today.html

[8] Antonin (Przygodzice), Wikipedia, https://de.wikipedia.org/wiki/Antonin_(Przygodzice)#Jagdschloss

[9] Geschichte, Pałac Radziwiłłów, http://www.palacantonin.pl/de/geschichte#

[10] Listy Chopina, Narodowy Instytut Fryderyka Chopina [Chopins Briefe, Das Nationale Fryderyk Chopin-Institut], https://chopin.nifc.pl/pl/chopin/list/444_do-tytusa-woyciechowskiego-w-poturzynie

[11] Krzysztof Zielnica, Zur Alexander von Humboldt-Forschung, XI. Alexander von Humboldt und die polnischen Künstler, Alexander von Humboldt-Stiftung. Mitteilungen, Heft 41, Januar 1983, Seiten 19–34.

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