Bundesbeauftragter Koschyk gemeinsam mit Olaf Melching von der Deutschen Botschaft Moskau und den Journalisten der Moskauer Deutschen Zeitung (MDZ) – Chefredakteur Bojan Krstulovic und Redakteurin Olga Silantjewa
Anlässlich seiner jüngsten Gespräche mit für Minderheitenpolitik zuständigen russischen Regierungsvertretern führte die „Moskauer Deutsche Zeitung“ nachfolgendes Interview mit dem Beauftragten der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten, Hartmut Koschyk MdB.
Herr Koschyk, Sie haben jetzt bei Ihrem ersten Moskaubesuch nach über einem Jahr im Amt auch erstmals mit russischen Vertretern der Minderheitenpolitik gesprochen. Um was geht es in diesem Bereich, grob gesagt, eigentlich?
Es kommt immer auf den ehrlichen Willen einer Regierung an, Bürgern, die nicht zur Mehrheitsbevölkerung gehören und die sich als ethnische Minderheit definieren, alle Rechte einzuräumen, um als Minderheit mit einer eigenen Kultur, Sprache und religiöser Identität zu überleben. Unser Verständnis dabei ist, dass der Staat minderheitenbedingte Nachteile durch eine Art positive Diskriminierung ausgleicht. Und dass das Land, in dem sie leben, und das Land, mit dem sie kulturell verbunden sind, möglichst gut zusammenarbeiten.
Braucht Russland hier überhaupt Ratschläge? Es ist doch, anders als Deutschland, seit Jahrhunderten ein Vielvölkerstaat.
Wir drängen uns nicht mit Ratschlägen auf. Russland hat das europäische Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten unterzeichnet und ratifiziert. Ob Russland seine entsprechenden Verpflichtungen erfüllt, das sollen die Experten des Europarates überprüfen. Für jeden Staat ist es wichtig, dass die eigenen nationalen Minderheiten zufrieden sind.
In der deutsch-russischen Zusammenarbeit auf diesem Gebiet dient noch immer das Regierungsprotokoll von 1992 als Grundlage. Darin ist auch von einer eigenen Republik der Deutschen in Russland die Rede, was man hier für illusorisch hält. Die Russen wünschen sich eine Neufassung des Protokolls.
Wir sind bereit, darüber zu reden, was davon überholt ist und was vielleicht neu bedacht werden muss. Dabei lassen wir uns von unseren Erfahrungen und unseren Prinzipien leiten, wie sie in anderen bilateralen Vereinbarungen betreffend deutscher Minderheiten festgelegt sind.
Der Knackpunkt für das neue Protokoll scheint zu sein, dass sich Moskau für alle Russlanddeutschen im Ausland zuständig sieht.
Wir haben ja nicht nur mit Russland eine Zusammenarbeit über russische Bürger deutscher Herkunft, sondern auch zum Beispiel mit Kasachstan. Natürlich kann man argumentieren, dass die Deutschen, die heute in Kasachstan leben beziehungsweise von dort nach Deutschland ausgesiedelt sind, einst auf dem Gebiet der heutigen Russischen Föderation ansässig waren. Und dass man deswegen eine Art der Verantwortung oder Zuständigkeit für sie ableitet. Ich teile diese Argumentation nicht. Vielleicht ist nämlich für die Betroffenen selbst ihre Familiengeschichte in Kasachstan wichtiger als die im früheren Russland.
Was ist der deutsche Standpunkt?
Wir unterstützen jeden Deutschen, der zu uns kommt, bei seiner Integration, egal aus welchem Teil der ehemaligen UdSSR. Sie sollen ihre Identität behalten können, wie auch immer diese von ihnen verstanden wird. Das ist kaum vereinbar mit der Sichtweise, dass jeder Bürger, der aus dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion zu uns gekommen ist, eine russische Identität hat und daher auch von Russland „betreut“ werden muss.
Bis heute ist das Protokoll „zur stufenweisen Wiederherstellung der Staatlichkeit der Russlanddeutschen“ von 1992 die Grundlage für die Zusammenarbeit von Berlin und Moskau in Fragen der deutschen Volksgruppe in Russland. Die „Staatlichkeit“ bedeutete damals die Wiederherstellung der „Republik der Wolgadeutschen“ in der Gegend um Saratow. In den vergangenen Jahren gab es immer wieder Versuche, ein neues Protokoll zu formulieren, die aber bisher an zwei Fragen scheiterten: ob Moskau die Russlanddeutschen wirklich vollständig rehabilitiert hat und ob es der Ansprechpartner für die Bundesregierung für alle Aussiedler aus der ehemaligen UdSSR sein kann.
Wenn diese Menschen aber die russische Sprache und Kultur als wesentlich für ihre Identität ansehen, ist dann nicht tatsächlich eher Russland der Ansprechpartner als etwa Kasachstan?
Diese Frage müssen die Menschen für sich selbst beantworten, sie muss nicht Teil des Regierungsprotokolls sein. Ich weiß um die große Strahlkraft der russischen Sprache und Kultur. Wir könnten uns darüber Gedanken machen, was wir in Deutschland für die Verbreitung der russischen Sprache und Kultur machen können, wenn wir die kulturelle Dimension unserer Beziehungen etwa in einem Kulturabkommen definierten.
Oft wird die „Brückenfunktion“ der Russlanddeutschen beschworen. Wie könnten sie die Länder konkret besser verbinden?
Ich will ein Beispiel nennen. Wir haben mit Heinrich Zertik einen engagierten Russlanddeutschen im Deutschen Bundestag. Er bringt dort wichtige Themen ein wie die Integration der Aussiedler und die Kooperation mit den Ländern, in denen Russlanddeutsche heute leben. Es würde dieser Brückenfunktion helfen, wenn Abgeordnete russlanddeutscher Herkunft auch in der Staatsduma so offen auftreten würden wie Heinrich Zertik bei uns. Im Bereich der Wirtschaft können wir sicherlich auch noch besser zusammenarbeiten und dabei auf russlanddeutsche Brückenbauer setzen.
Gerade in der Wirtschaft läuft es doch auch ohne ethnische „Brücken“ traditionell ganz gut zwischen beiden Ländern …
Ja, aber da geht noch mehr. Mir jedenfalls ist keine organisierte Zusammenarbeit von russlanddeutschen Unternehmern in beiden Ländern bekannt. Und haben wir wirklich eine breite Kooperation unter kleinen und mittelständischen Betrieben? Dabei gibt es in Deutschland sehr erfolgreiche Unternehmer aus dem Bereich der Russlanddeutschen. Ob sie in Russland einen Partner finden, scheint mir bisher eher aus technischen Gründen schwierig.
Wie könnten die Russlanddeutschen beim gegenseitigen Verständnis der Länder insgesamt helfen?
Man darf die Russlanddeutschen nicht überfordern. Wir haben auf beiden Seiten, bei den Russlanddeutschen sowohl in Deutschland wie in Russland, einen Prozess der Selbstfindung und der Herausbildung der Strukturen. Auch 25 Jahre nach dem Ende der Sowjetunion ist dieser Prozess noch nicht abgeschlossen. Wenn man über eine Brücke, deren Pfeiler nicht solide konstruiert wurden, gleich einen LKW schickt, stürzt sie ein. Deshalb müssen wir uns stark auf das Fundament der Brücke konzentrieren und nicht schwere politische LKWs darüber schicken und uns dann wundern, dass die Brücke einstürzt.
Das Interview führte Bojan Krstulovic
Zum Interview auf der Internetseite der „Moskauer Deutsche Zeitung“ gelangen Sie hier.
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