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FAZ-Artikel zu deutscher Nordkorea-Politik / Koschyk: Ich bedaure es sehr, dass wir nicht den Schulterschluss mit Schweden suchen
5. Januar 2020
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Nachfolgender Artikel von Martin Benninghoff ist am 5. Januar 2020 in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung erschienen:

FAZ. Er wollte nach Deutschland, aber durfte nicht: Ein Mitarbeiter des nordkoreanischen Gesundheitsministeriums sollte im Dezember nach Deutschland fliegen. Nach Berlin, wo er einst als Stipendiat einer deutschen Stiftung seinen Masterabschluss gemacht hatte. Deutschland ist ihm nicht fremd, er hat hier gelebt. Und er kennt einige wichtige Leute in der deutschen Politik, die sich für seine Reise einsetzten. Vergebens: Kurz vor seinem Abflug wurde sein Visumantrag abgelehnt. Der Nordkoreaner blieb auf gepackten Koffern sitzen.

Das ist der jüngste Fall in einer Reihe von Irritationen. Wer sich in diesen Tagen mit deutschen Nordkorea-Fachleuten unterhält, mit Experten von NGOs und Stiftungen, mit Politikern und Wissenschaftlern, erfährt von zunehmender Unzufriedenheit mit der deutschen Nordkorea-Politik. Der Vorwurf an die Diplomaten des Auswärtigen Amts in Berlin: eine Blockade-Haltung, die Nordkorea-Projekte erschwere oder sogar unmöglich mache. Solche Projekte waren schon immer schwierig. Denn Nordkorea ist politisch geächtet und wird international isoliert. Doch im Moment geht noch weniger als sonst. Und zum Jahreswechsel wurde es nicht besser, ins Gegenteil: Machthaber Kim Jong-Un hat Amerika zur Jahreswende mit der Entwicklung einer neuen Superwaffe gedroht.

Die meisten Kritiker der deutschen Nordkorea-Politik wollen ihre Namen nicht in der Zeitung lesen, wohl auch deshalb, weil manches Projekt finanziell am Tropf des Außenministeriums hängt. Das gibt jährlich immerhin zwischen 8oo 000 und 5,5 Millionen Euro für Nordkorea-Projekte aus. Doch die Fachleute klagen über eine immer restriktivere Visavergabe. Nordkoreanischen Wissenschaftlern, Studenten, Ingenieuren und Sportlern würde unter teils fadenscheinigen Begründungen das Visum verweigert, heißt es. Mitunter würden Antragsteller bis kurz vor dem Abflug hingehalten, so dass sie kaum noch Unterstützer gewinnen oder Einspruch einlegen konnten.

Tatsächlich ist die Visavergabe in den vergangenen Jahren strenger geworden. Einer Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage eines grünen Bundestagsabgeordneten zufolge erteilte das Außenministerium 2018 zwar 52 Visa für Nordkoreaner, allerdings lehnte es 80 Anträge ab. 2015 wurden noch 180 Schengen-Visa vergeben und nur acht abgelehnt Dabei hat sich die deutsche Botschaft in Pjöngjang bei jedem einzelnen Fall die Weisung aus der Berliner Zentrale einzuholen. Die begründet grundsätzlich nicht öffentlich, weshalb Anträge abgelehnt werden. Aus dem Auswärtigen Amt heißt es, die Bearbeitungsdauer von Visaanträgen hänge vom Einzelfall ab. Anträge würden abgelehnt, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen für die Erteilung nicht vorlägen. Gründe können Sicherheitsbedenken sein, die Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Verwicklungen in Schmuggel oder andere illegale Aktivitäten.
Das Misstrauen ist verständlich: Es ist nicht auszuschließen, dass sich ein Student oder ein Sportler als Spion oder Schmuggler entpuppt. Das Regime sucht Bürger aus, die ins Ausland reisen dürfen – und das sind dann die loyalen, tausend-prozentigen Angehörigen der Elite.

Die Bundesregierung verfolgt seit der Eskalation des Atomkonflikts – im Einklang mit den Vereinten Nationen, Amerika und Europa – eine Null-Kompromiss-Politik. Ranghohe nordkoreanische Politiker werden gar nicht erst empfangen und Kontakte zu Funktionären über der Abteilungsleiterebene peinlichst genau vermieden: Auf die Botschaft der Nordkoreaner in Berlin baut die Bundesregierung immer mehr Druck auf. Sie hat das Personal reduziert und Geldquellen für Pjöngjangs Diplomaten ausgetrocknet. Allerdings wird immer noch ein Hostel auf dem Botschaftsgelände betrieben – ein schwelender Rechtsstreit verhindert bisher die Schließung. Aber dieses Problem könnte bald vor Gericht geklärt werden. Neben der strengen Sanktionspolitik gibt es jedoch Spielräume – auf diese zielt die Kritik der Nordkorea-Fachleute.

Politiker, die für eine Annäherung werben, klagen über Versuche des Auswärtigen Amts Delegationsreisen nach Nordkorea selbst zu verhindern oder sie den Reiselustigen auszureden: Als eine mit dem Thema betraute Bundestagsabgeordnete vor wenigen Wochen nach Nordkorea flog, wurde ein Treffen mit dem deutschen Botschafter in Pjöngjang abgesagt. Aus dem Auswärtigen Amt heißt es dazu, die Person sei auf einer Privatreise gewesen, eine Betreuung durch die Botschaft sei in solchen Fällen nicht üblich. Als Sigmar Gabriel 2019 nach Nordkorea flog, um mit einem mächtigen Außenpolitiker der Staatspartei zu sprechen, blieb der deutsche Botschafter in Pjöngjang dem Treffen fern. Das Auswärtige Amt beeilte sich klarzustellen, dass Gabriel „nicht im Auftrag der Bundesregierung“ unterwegs sei. Ein ungewöhnlicher Vorgang, schließlich reist ein ehemaliger Außenminister nicht privat in ein solches Land. Das ist immer ein Politikum. Eine Wissenschaftlerin, die ein Nordkorea-Projekt plant, berichtet, wie ein deutscher Botschaftsangehöriger sie mit dem Vorwurf konfrontiert habe, mit einem schlimmen Diktator zu kooperieren. Dabei ist unter allen Gesprächspartnern unstrittig, dass Kim Jong-un dem repressivsten Staat der Welt vorsteht und sein Regime die Menschenrechte mit Füßen tritt. Keiner der Fachleute sympathisiert mit dem Diktator.

Es erinnert an die Hochzeiten des Kalten Kriegs, als es hieß: Entweder bist du für „Wandel durch Annäherung“, wie Egon Bahr einst formulierte, oder für die maximale Isolation des Gegners. Der Dissens liegt auch heute in der Frage des Umgangs mit dem Regime: Kann Nordkoreas gesellschaftlicher Wandel beschleunigt werden, wenn Deutschland seine Kontakte pflegt? Oder ist nur Besserung in Sicht, wenn Kims Reich selbst in vermeintlich unpolitischen Feldern wie dem Sport hermetisch isoliert wird und so vielleicht zur Vernunft kommt? Aus dem Auswärtigen Arm heißt es dazu, die Bundesregierung unterstütze den Austausch auf zivilgesellschaftlicher Ebene. Zugleich wird darauf hingewiesen, dass Nordkorea faktisch keine Zivilgesellschaft habe, wodurch der Austausch erschwert würde.

Im Mai 2019 verweigerte das Auswärtige Amt einer Delegation aus zehn nordkoreanischen Sportschützen und Betreuern die Einreise, nach Angaben des Deutschen Schützenbundes aufgrund von Sicherheitsbedenken. Die Athleten sollten auf Einladung des Verbandes zum Weltcup im Sportschießen nach München reisen. Es war ein wichtiger Wettbewerb für sie, weil die Sportler sich hierbei für die Olympischen Spiele 2020 in Tokio qualifizieren konnten. Die Nordkoreaner hätten Chancen gehabt. Der Geschäftsführer des Schützenbundes, Jörg Brokamp, war sehr erstaunt darüber, dass es dieses Mal keine Visa geben sollte. Früher habe es solche Probleme nie gegeben, sagt er. Brokamp setzte alle Hebel in Bewegung, kontaktierte prominente Politiker, die wiederum Briefe an Außenminister Heiko Maas schrieben, allerdings ohne Erfolg. Brokamp ist noch heute verstimmt: „Das ist keine Werbung für den Sportstandort Deutschland.“

Im Vergleich zu anderen westlichen Staaten verfügt Deutschland über viele Gesprächskanäle nach Nordkorea. Doch sie werden kaum noch genutzt. So hat der Deutsche Akademische Austauschdienst seine Lektorenstelle in Pjöngjang seit 2015 nicht neu besetzt. DAAD-Vertreter waren in diesem Jahr zu Besuch in Nordkorea, um ein erneutes Engagement auszuloten. „Durch eine Politik der kleinen Schritte könnten wir die Kanäle zu den Menschen in Nordkorea öffnen“, heißt es in einem Bericht. In Berlin sieht man das offenbar anders: Die Lektorenstelle bleibt bis auf weiteres verwaist. Italien, das die Sanktionspolitik wie Deutschland unterstützt, hat einen Italienisch-Lektor an Pjöngjangs Unversität entsandt. Kanada schickt weiterhin Englischlehrer nach Nordkorea, und auch die Schweiz und Schweden engagieren sich. Doch auch das deutsche Goethe-Institut hat keine Pläne, wieder im Land aktiv zu werden. Man sei aber „stets bemüht, von Seoul aus im Rahmen des Möglichen den Dialog mit kulturellen Brückenköpfen in Nordkorea aufrechtzuerhalten“, sagt eine Sprecherin des Goethe-Instituts. Die Spielräume schrumpfen derzeit weiter.

Es geht um mehr als handfeste Sicherheitsbedenken, wenn Nordkoreaner nicht einreisen dürfen: Es geht um manchmal feine und häufig grobe politische Nadelstiche gegen das Regime, das sich nicht ändern will. Die Logik dahinten: Solange sich Kim Jong-un nicht ernsthaft nur atomaren Abrüstung bekennt, verdient Pjöngjang keinen Vertrauensvorschuss. Schon gar keinen, den Nordkorea im eigenen Land in Propaganda ummünzt. Alles, was Deutschland an Unterstützung bietet, ist dieser Lesart nach systemstabilisierend und deshalb kritisch zu sehen. Das gilt prinzipiell sogar für humanitäre Hilfe, die Nordkoreas Elite in der Vergangenheit gerne in die eigene Tasche umgeleitet hat.

Die Berliner Zurückhaltung enttäuscht auch die Südkoreaner. Präsident Moon Jae-in wünscht sich eine stärkere Unterstützung aus Berlin für seinen Versöhnungskurs. Schließlich betreibt Deutschland seit knapp zwanzig Jahren wieder eine Botschaft in Pjöngjang. Und die eigene Teilungsgeschichte prädestiniert es zu einem Vermittler. Aber diese Rolle übernimmt zunehmend Schweden, wo zuletzt die Verhandlungen zwischen Nordkoreanern und Amerikanern stattfanden. Der CSU-Politiker Hartmut Koschyk, der jahrelang die deutsch-koreanischen Parlamentariergruppe im Bundestag anführte und vor wenigen Wochen zum Ehrenbürger Seouls ernannt worden ist, bringt es so auf den Punkt: „Ich bedaure es sehr, dass wir hierbei nicht den Schulterschluss mit Schweden suchen. Wir fallen ab – und das schmerzt“

Weiterführende Informationen zum Deutsch-Koreanischen Forum finden Sie hier.

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