Nordkorea lässt die Muskeln spielen. Nach neuerlichen UN-Sanktionen hat das Regime neue Drohungen ausgestoßen. Hartmut Koschyk, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen, kennt die Verhältnisse auf der koreanischen Halbinsel seit Jahren. Seit 1998 ist er Vorsitzender der Deutsch-Koreanischen Parlamentariergruppe des Deutschen Bundestages. Seit 2003 ist Koschyk Präsident der Deutsch-Koreanischen Gesellschaft in Deutschland. Seit 2007 ist er zudem deutscher Ko-Vorsitzender des Deutsch-Koreanischen Forums. Mit dem Straubinger Tageblatt sprach Koschyk über die jüngste Eskalation und mögliche Auswege.
Nordkorea hat als Antwort auf neue UN-Sanktionen nach einem weiteren Atomtest den Nichtangriffspakt mit dem Süden gekündigt. Was bedeutet dieser Schritt?
Koschyk: Bei Nordkorea ist man ja immer ratlos. Ich habe einmal den Begriff geprägt, dass sich Nordkorea „rational irrational“ verhält. Das heißt, vieles was die Nordkoreaner tun, erschließt sich einem auf den ersten Blick nicht. Wenn man sie und die Situation in der Region etwas länger kennt, ist doch alles immer sehr rational. Nach meiner Einschätzung möchten die Nordkoreaner nach den Präsidentschaftswahlen in den USA und den Wahlen in Südkorea mit aller Macht und Gewalt das Augenmerk der Welt – allen voran das der Amerikaner – auf sich richten. Sie möchten mit den Amerikanern auf Augenhöhe über eine Art der Absicherung des Status quo und die Verbesserung der Beziehungen zu den Amerikanern sprechen. Ob sie bereit sind, sich für einen wie auch immer zu zahlen Preis ihre Nuklearambitionen abkaufen zu lassen, kann ich nicht abschließend beurteilen. Vieles von dem was wir derzeit aus Nordkorea hören ist sehr martialisch – das hört man aber immer wieder. Wir haben ja auch militärische Aktionen der Nordkoreaner erlebt, etwa den Artilleriebeschuss einer südkoreanischen Insel oder die Versenkung einer südkoreanischen Korvette. Danach hat es immer auch Phasen der Annäherung gegeben. Für mich ist wichtig, dass bei den jüngsten Beschlüssen im Sicherheitsrat die Chinesen mit gestimmt haben. Das ist für die Nordkoreaner eine gelbe Karte. Aber es bleibt festzuhalten, derartige Zuspitzungen hatten wir auf der koreanischen Halbinsel im letzten Jahrzehnt mehrfach.
Pjöngjang droht inzwischen sogar mit einem Atomschlag gegen die Vereinigten Staaten. Ist diese Drohung ernst zu nehmen?
Koschyk: Da spielt Nordkorea mit Muskel, die es gar nicht hat. Ich will das nordkoreanische Nuklearpotenzial nicht unterschätzen. Es muss vor allem in Hinsicht auf die Weitergabe dieser Technologien – die Proliferation – Sorgen machen. Es muss uns besorgen, dass Material aus Nordkorea nicht zum Bau einer „schmutzigen Bombe“ in falsche Hände gerät. Aber eine gerade für die USA gefährliche Gesamt-Nukleartechnik, inklusive Trägersystem, haben sie nach meiner Kenntnis nicht. Aber ein trotzig aufstampfendes Kind kann auch Kräfte entfalten die zumindest zu Verletzungen führen können. Die Nordkoreaner haben ja bereits gezeigt, dass sie zu Aggression fähig sind. Im Januar ist ja die Neujahrsansprache des neuen nordkoreanischen Führers sehr überschwänglich gelobt worden. Ich hab mir damals die gesamte Rede durchgelesen und neben ein paar interessanten Tönen des Dialogs war darin auch viele alte Phrasen enthalten.
Was bezweckt das Regime in Nordkorea mit dieser Eskalation?
Koschyk: Man muss sicher damit rechnen, dass dieses martialische Auftreten des neuen jungen Führers auch dazu dient, seine Herrschaft nach innen abzusichern. Wahrscheinlich geht es auch darum, Konzessionen an das nordkoreanische Militär zu machen, ohne das seine Herrschaft überhaupt nicht abgesichert werden kann. Da schwingt viel Innenpolitik mit, da schwingt viel Profilierungsnotwendigkeit mit. Ich glaube es war richtig und angemessen, wie der UN-Sicherheitsrat reagiert hat. Denn es geht ja nicht immer so weiter, dass die Nordkoreaner sagen sprecht mit uns, dann die Muskel spielen lässt und trotz Warnungen den jüngsten Nukleartest durchgeführt hat. Ich gehe aber jetzt davon aus, dass die Chinesen sich darum bemühen, den Kontakt zwischen Nordkorea und den USA wieder aufzubauen. Das ist auch im Interesse Nordkoreas. Den nordkoreanisch-amerikanischen Gesprächskanal hat es immer gegeben – auch in dieser Situation.
Welche Rolle kommt China zu?
Koschyk: China hat sicherlich den meisten Einfluss auf Nordkorea. Den darf man aber nicht überschätzen – das sagen einem übrigens auch die Chinesen selbst. Nordkorea hat ja immer eine Politik der Autarkie betrieben – eine Schaukelpolitik zwischen unterschiedlichen Mächten. Solange die Sowjetunion noch ein Faktor war, ging es Nordkorea ja relativ gut. Es hat sich immer wechselseitig von den Chinesen und den Sowjets das geholt, was es für ein auskömmliches Überleben gebraucht hat. Die Nordkoreaner sind nicht selber nicht glücklich mit der einseitigen Abhängigkeit von China. Sie versuchen ja auch immer Russen und Chinesen gegeneinander auszuspielen. Das gelingt natürlich heute nicht mehr so wie vor 20 Jahren. Die Zustimmung Chinas im UN-Sicherheitsrat zu einer Verschärfung der Sanktionen war ein Schuss vor den Bug Nordkoreas. Aber zu glauben, dass die Nordkoreaner jetzt gleich zu Kreuze kriechen, wäre falsch. Das würde ja den gerade in Asien immer so wichtigen Gesichtsverlust bedeuten. Daher vermute ich, dass es hinter den Kulissen enge chinesisch-amerikanische diplomatische Bemühen gibt. Womöglich haben die Chinesen den Amerikanern zu verstehen gegeben: wir stimmen neuen Sanktionen zu, ihr lasst euch im Gegenzug von den Aktionen Nordkoreas nicht provozieren. Seid auch bereit, zur Verhinderung von weiterer Eskalation mit den Nordkoreanern zu sprechen. Der Schulterschluss zwischen Südkorea und den USA funktioniert. Bei allem was derzeit geschieht, gibt es eine enge Abstimmung zwischen Südkorea und den USA, aber auch zwischen den USA und China. Jetzt hoffe ich, dass die Nordkoreaner erkennen, dass es jetzt verbal abrüsten und zur Vernunft zurückfinden muss. Wenn die Amerikaner dazu klug genug sind, auch gesprächsbereit zu sein, dann kann daraus eine neue Phase von Verhandlungen über Entspannung auf der koreanischen Halbinsel werden.
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