Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages und der französischen Nationalversammlung (Assemblée nationale) haben in dieser Woche in einer gemeinsamen Sitzung den Élysée-Vertrag gewürdigt, den Bundeskanzler Konrad Adenauer und Staatspräsident Charles de Gaulle vor 50 Jahren in Paris unterzeichnet hatten. Der Vertrag setzte einen Schlussstrich unter die „Erbfeindschaft“, die in dem Jahrhundert davor zu drei blutigen Kriegen geführt hatte, und begründete das Werk der Aussöhnung zwischen den beiden Nachbarn.
Die beiden Parlamente haben eine gemeinsame Erklärung beschlossen. Darin bekennt man sich dazu, die deutsch-französische Zusammenarbeit auch und gerade in Zeiten politischer und ökonomischer Krisen für ein weiteres und tieferes Zusammenwachsen der Europäischen Union sowie ihre stärkere demokratische Verankerung zu nutzen. Dieses Zusammenwachsen darf nicht auf Wirtschafts- und Währungsfragen reduziert werden, sondern muss vor allem der Jugend in Europa eine neue Perspektive für Bildung, Beschäftigung und Wachstum geben.
Bundestagspräsident Prof. Dr. Norbert Lammert erinnerte im Deutschen Bundestag an die „wechselseitigen historischen Kränkungen“ beider Länder und sagte zurecht, dass es ohne die deutsch-französische Aussöhnung die deutsche Einheit nicht gegeben hätte. Für die Zukunft bleibt die deutsch-französische Verständigung unverzichtbar, weil sie unterschiedliche Interessen, Traditionen und Vorstellungen habe.
Für den französischen Staatspräsidenten François Hollande war die deutsch-französische Freundschaft der Antriebsmotor der letzten 50 Jahre, sie habe immer im Dienst der europäischen Integration gestanden. Sie hat es ermöglicht, mutige Entscheidungen zu treffen, etwa in den gemeinsamen Projekten Airbus und Ariane. Auch ist durch die deutsch-französische Freundschaft die Integrität der Eurozone gewahrt worden. Präsident Hollande würdigte das Deutsch-Französische Jugendwerk, das bislang acht Millionen junge Deutsche und Franzosen zusammengeführt hat. Er kündigte an, die Berufsausbildungssysteme beider Länder anzunähern. Die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion müsse für Hollande darüber hinaus in eine Politische Union münden.
Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel sagte zurecht, dass die EU vor der größten Bewährungsprobe seit ihrem Bestehen steht. Gemeinsam müsse man daran arbeiten, dass Europa sich in der Welt des 21. Jahrhunderts selbst behaupten kann mit Blick auf Demokratie, Meinungs- und Religionsfreiheit sowie ein friedliches Zusammenleben. Deutschland und Frankreich arbeiteten aus unterschiedlichen Traditionen heraus an einer EU, die geprägt ist von Einigkeit, Brüderlichkeit und von der Würde des einzelnen Menschen. Bundeskanzlerin Merkel schlug vor, dass die Sozialpartner in Deutschland und Frankreich, Arbeitgeber und Gewerkschaften, über einen gemeinsamen Weg diskutieren. Auch könnten Deutschland und Frankreich zum Beispiel beim Ausbau erneuerbarer Energien gemeinsame Wege beschreiten.
Die Präsidien von Deutschem Bundestag und französischer Nationalversammlung erklärten in ihrer gemeinsamen Pressekonferenz die Zusammenarbeit zwischen beiden Parlamenten nicht nur in der Haushalts-, Wirtschafts- und Finanzpolitik, sondern auch in „aktuellen und grundsätzlichen“ Feldern wie der Verteidigungs- und Sicherheitspolitik zu vertiefen.
Die andauernde Staatsschuldenkrise in Europa ist die größte Bewährungsprobe für die Europäische Union. Doch 50 Jahre deutsch-französische Freundschaft haben gezeigt, dass auch die größten Probleme überwunden werden können. Voraussetzung ist, dass man sich auf die Kraft von Frieden in Freiheit besinnt und den Mut zu Veränderungen hat. Die deutsch-französische Freundschaft ist von großer Bedeutung für ganz Europa. Beide Länder haben sich stets als Antriebskräfte für die europäische Einigung verstanden. Gemeinsam werden die Regierungen beider Länder daran arbeiten, dass Europa sich durch sich selbst behaupten kann!
In dieser Woche hat der britische Premierminister David Cameron in seiner Grundsatzrede zur Europapolitik dringende Reformen der Europäischen Union angemahnt und bis 2017 ein Referendum über den Verbleib des Vereinigten Königreichs in der EU angekündigt.
Diese Rede verschafft mehr Klarheit über die britische Position. Die Bundesregierung teilt die Auffassung, dass der Platz des Vereinigten Königreichs innerhalb und nicht außerhalb der Europäischen Union liegt. Und auch die Analyse von David Cameron teilt die Bundesregierung: die hohen Schulden einzelner Mitgliedstaaten, die mangelnde Konkurrenzfähigkeit im globalen Wettbewerb, das sinkende Vertrauen der Menschen in die Institutionen belasten die Zusammenarbeit. Deswegen gilt es jetzt, die maßgeblich von der Bundesregierung angestoßenen Reformen weiter zu unterstützen und nicht zu blockieren. Die Bundesregierung nimmt Premierminister Cameron beim Wort sich aktiv an den nötigen Reformprojekten zu beteiligen. Bislang hat Großbritannien viele Initiativen, die EU effektiver, demokratischer, transparenter und schlanker zu machen, eher verhindert, als mitgestaltet. Es kann nicht sein, dass sich David Cameron europapolitisch nur die Rosinen aus dem Kuchen pickt. Eine kraftvolle EU mit einem dynamischen Binnenmarkt gibt es nur mit den Reformverpflichtungen, die die EU auf den Weg bringt. Premier Cameron muss dafür nicht nur seine eigene europaskeptische Partei, sondern die Mehrheit der britischen Bevölkerung gewinnen. Dies wird ihm nur gelingen, wenn seinem Bekenntnis zur Mitgliedschaft Großbritanniens in der EU auch überzeugende Taten folgen. Nur mit einer klaren proeuropäischen Positionierung wird das Referendum über einen Verbleib des Vereinigten Königreichs in der EU zu einem Erfolg. Auf diesem Weg hat David Cameron die Unterstützung der Bundesregierung.
Jahrhunderte lang war Europa geprägt von Krieg, Feindschaft und nationalstaatlichem Denken. Die Geschichte des Europäischen Integrationsprozesses nach den Schrecken zweier Weltkriege und die Symbolik der gemeinsamen Sitzung der Abgeordneten des Deutschen Bundestages und der französischen Nationalversammlung (Assemblée nationale) anlässlich „50 Jahre deutsch-französischer Freundschaft“ sollten uns eindrücklich vor Augen führen: Nur gemeinsam hat Europa eine Zukunft – nur gemeinsam findet Europas Stimme Gehör in der Welt und auch nur gemeinsam kann Europa aus der gegenwärtigen Krise gestärkt hervorgehen!
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