Der Vorsitzende der Deutsch-Koreanischen Parlamentariergruppe des Deutschen Bundestages, Bundesbeauftragter Hartmut Koschyk MdB, führte beigefügtes Interview mit Kerstin Dolde von der Frankenpost zu seiner zurückliegenden Reise nach Nordkorea und in die VR China:
Herr Koschyk, Sie waren in Nordkorea. Was sind Ihre Eindrücke?
Ich habe seit 2002 Nordkorea mehrfach besucht, zuletzt 2008. Jetzt hat sich das Bild der Hauptstadt Pjöngjang sehr verändert: wesentlich mehr Verkehr, neue Stadtviertel mit modernen Hochhäusern, Freizeiteinrichtungen wie Spaß-Bäder, ein Delfinarium, neue Geschäftshäuser mit Cafés und Restaurants. Die Modernisierung des Flughafens steht kurz vor dem Abschluss. Auch die Küstenstadt Wonsan hat sich positiv verändert: ein Kinder-Ferienlager ist sehr aufwändig, fast luxuriös saniert, in den Bergen entsteht ein modernes Ski-Resort. Die Entwicklung ist sichtbar und die Versorgungslage ist auch nicht mehr so angespannt wie noch vor Jahren.
Sie sprechen von einer Charmeoffensive. Was will Nordkorea von Deutschland?
Alle meine politischen Gesprächspartner betonten das starke Interesse Nordkoreas, die Beziehungen zu Deutschland und der EU auf den Gebieten Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Kultur und Gesellschaft umfassend fortzuentwickeln und dabei einen offenen Dialog auch über Fragen wie Menschenrechte und die innerkoreanischen Beziehungen zu führen. Die ‚Charmeoffensive‘ Nordkoreas gegenüber Deutschland und der EU erfolgt vor dem Hintergrund sehr schlechter Beziehungen zu China und den USA. Nordkorea setzt sehr auf Europa und Deutschland. Es geht Nordkorea um eine umfassende Entwicklung in den Beziehungen. Auch wird deutsche Expertise gesucht, wie das Land für ausländische Investitionen attraktiv werden kann. Nordkorea hat 20 Sonderwirtschaftszonen im Land ausgewiesen und will dabei auch insbesondere mit Deutschland kooperieren.
Kim ist wieder aufgetaucht. Haben Sie ihn gesehen, mit ihm sprechen können?
Ich habe während meines Besuches in Nordkorea Kim Jong-Un nicht getroffen, aber politische Gespräche mit hochrangigen Persönlichkeiten, unter anderem mit dem Präsidenten der Obersten Volksversammlung Chae Thae Bok, dem Vizeaußenminister Ri Kil Song, dem stv. Leiter der Internationalen Abteilung des Zentralkomitees der Partei der Arbeit Nordkoreas, Ri Yong Chol und dem Vorsitzenden des für Europa und Deutschland zuständigen Ausschusses der Obersten Volksversammlung, Ri Jong Hyok, führen können. Am Tag vor meiner Abreise war Kim Jong-Un bei der Einweihung eines ebenfalls sanierten Sportstadions für 150.000 Menschen. Ich habe die Berichterstattung darüber im Staatsfernsehen gesehen und die Bildberichterstattung in der führenden Staatszeitung. In diesen Medien vermittelte Kim Jong-Un den Eindruck von Dynamik und Entschlossenheit.
Hat er die Machtfülle seines Vaters? Wie ist er als Machtfigur einzuschätzen?
Nach meinem Eindruck hat Kim Jong-Un das Ruder offenbar fester in der Hand, als man lange vermutet hat. Alle meine Gesprächspartner haben mir dies sehr deutlich vermittelt. Er hat sicher noch nicht die Machtfülle seines Vaters, aber er ist „kein Frühstücksdirektor“.
Kann oder will er die „Moderne“ in das Land bringen?
Die von mir beschriebenen sichtbaren Veränderungen, aber auch meine Gesprächspartner, haben genau diesen Eindruck vermittelt: Kim Jong-Un steht auch nach der betriebenen Propaganda für Aufbruch, für Verbesserung, gerade der Lebenssituation der Menschen: eine moderne Zahnklinik und moderne Wohnungen, die ich besichtigen durfte, aber auch die Freizeiteinrichtungen, der neue Flughafen, sollen dieses Bild vermitteln.
Wie würden Sie den Status quo zwischen Nord- und Südkorea beschreiben?
Was die innerkoreanischen Beziehungen anbelangt, so machten alle meine nordkoreanischen Gesprächspartner ihre Bereitschaft deutlich, mit Südkorea in eine neue Phase der Annäherung zu treten. Diesem Ziel hat auch der vor kurzem erfolgte Besuch einer hochrangigen nordkoreanischen Delegation aus Anlass der Asien-Spiele im südkoreanischen Incheon gedient. Die nordkoreanische Seite ist zur Fortsetzung der in Incheon begonnenen Gespräche bereit. Die nordkoreanische Seite hob in diesem Zusammenhang mir gegenüber die Bedeutung der “Gemeinsamen Deklaration” aus Anlass des historischen Pjöngjanger Gipfeltreffens des seinerzeitigen Präsidenten der Republik Korea und Friedensnobelpreisträgers Kim Dae-Jung und des damaligen Vorsitzenden des Nationalen Verteidigungsausschusses der Demokratischen Volksrepublik Koreas, Kim Jong-Il vom 15. Juni 2000 hervor. Es wurde aber von nordkoreanischer Seite eine Atmosphäre wechselseitigen Vertrauens als Voraussetzung für weitere zielführende Gespräche mit den politisch Verantwortlichen Südkoreas genannt.
Ist ein Tauwetter sowohl zu den Nachbarn als auch in Bezug auf die internationale Staatengemeinschaft zu erkennen?
Auch mit Japan hat es während meiner Anwesenheit in Pjöngjang auf hoher Ebene Gespräche gegeben, was auf ein gewisses „Tauwetter“ hoffen lässt. Zudem hat der UN-Sonderberichterstatter für Menschenrechte in Nordkorea, Marzuki Darusman, nach eigenen Angaben eine Einladung in das Land erhalten. Nordkorea ist auch zur Wiederaufnahme der sogenannten “Sechs-Parteien-Gespräche” zur Nuklear-Frage bereit, will jedoch die von den USA gestellten Vorbedingungen keinesfalls akzeptieren.
Welche Politik, und damit welche außenpolitischen Ziele, sollte die Bundesrepublik bezüglich Nordkorea verfolgen?
In einer Annäherung zwischen Nord- und Südkorea kann Deutschland nicht als Vermittler, sondern allenfalls als ehrlicher Ratgeber auftreten und unsere innerdeutschen Erfahrungen weitergeben. Deutschland sieht unverändert in der Wiederaufnahme der “Sechs-Parteien-Gespräche” die beste Möglichkeit, nicht nur die strittige Nuklearfrage zu lösen, sondern auch einen nachhaltigen Dialogprozess aller Beteiligten über alle Themen zu führen, die einer friedlichen Entwicklung in Nordostasien, einer allseitigen Verständigung sowie einer umfassenden Zusammenarbeit in den Bereichen Wirtschaft, Soziales, Bildung, Wissenschaft und im humanitären Bereich dienen. Aus einem derartigen Prozess könnte sich eine schrittweise Annäherung der beiden koreanischen Staaten mit dem Ziel einer Wiedervereinigung ergeben. Deutschland könnte hierbei seine Erfahrungen sowohl des Prozesses der innerdeutschen Annäherung, als auch im Hinblick auf die europäischen und internationalen Rahmenbedingungen der innerdeutschen Beziehungen vermitteln, ohne dass der deutsche Weg zur Wiedervereinigung als Vorbild angesehen werden sollte. Der Deutsche Bundestag hat sich übrigens kontinuierlich mit der Lage auf der koreanischen Halbinsel befasst und hierzu immer wieder auch entsprechende Beschlüsse gefasst, so zuletzt im Juni 2013. Bereits Ende März dieses Jahres wurde im Rahmen des Staatsbesuches der Präsidentin der Republik Korea, Frau Park Geun-Hye, in Berlin zudem die Vereinbarung getroffen, die deutschen Bemühungen für eine innerkoreanische Annäherung zu intensivieren. Insbesondere wurde zwischen Bundesaußenminister Dr. Frank-Walter Steinmeier und seinem koreanischen Amtskollegen Yun Byung-Se vereinbart, ein „Deutsch-Koreanisches Beratergremium zu außenpolitischen Fragen der Wiedervereinigung“ einzurichten. Bundesaußenminister Dr. Frank-Walter Steinmeier hat mich als deutschen Ko-Vorsitzenden in dieses Beratergremium berufen, das sich am 31. Oktober in Seoul konstituieren wird.
Wo sehen Sie persönlich die Chancen für die Zukunft?
Sollten die Sechs-Parteien-Gespräche zwischen China, den USA, Russland, Japan und den beiden koreanischen Staaten wiederaufgenommen werden und in der Nuklear-Frage Fortschritte erzielt werden, so könnte sich daraus eine Art Nordostasien-KSZE entwickeln, die von der Europäischen Union mit dem europäischen Erfahrungshintergrund bei der Überwindung des Ost-West-Gegensatzes begleitet werden könnte. Der Deutsche Bundestag hat sich übrigens bereits 2002 in einem interfraktionellen Antrag für solch eine Art nordostasiatischen KSZE-Prozesses ausgesprochen.
Noch kurz zu China: Welche Eindrücke haben Sie dort gewonnen?
Ich konnte mich erneut davon überzeugen, dass seit der Aufnahme diplomatischer Beziehungen im Jahr 1972 die deutsch-chinesischen Beziehungen sich in den zurückliegenden 40 Jahren zu großer Vielfalt, beachtlicher Dichte und zunehmender politischer Substanz entwickelt haben. China ist der wichtigste Wirtschaftspartner Deutschlands in Asien und Deutschland ist Chinas wichtigster Handelspartner in Europa, das heißt: der stabilen Kooperation zwischen den beiden stark exportorientierten Volkswirtschaften kommt große Bedeutung zu. China sieht Deutschland aber nicht nur wirtschaftlich, sondern auch politisch als sein „Tor nach Europa”. Dynamische Handelsbeziehungen, Investitionen, Umweltzusammenarbeit, kultur- und wissenschaftspolitische Zusammenarbeit und intensiver hochrangiger Besucheraustausch prägen die Beziehungen. Ein weiterer nachhaltiger Ausbau der deutsch-chinesischen Beziehungen ist uneingeschränkt zu unterstützen und den Regierungskonsultationen und über 70 offiziellen Dialogmechanismen, davon viele auf hoher Regierungsebene, zwischen Fachministern, Staatssekretären und Leitern von Regierungsbehörden, kommt in diesem Zusammenhang eine herausragende Bedeutung zu.
Wie wird die Wirtschaft die dortige Gesellschaft verändern?
Der VR China mag zwar der Spagat gelungen sein, wirtschaftlichen Aufschwung unter Beibehaltung des Führungsanspruches der Kommunistischen Partei zu erreichen, dennoch bin ich davon überzeugt, dass sich langfristig auch in der VR China demokratische und rechtstaatliche Strukturen festigen werden. Ich selbst habe mit Rechtswissenschaftlerinnen der Zentralen Parteihochschule der KP Chinas in Peking eine intensive Diskussion über die Rechtsstaats-Entwicklung sowie die Lage der Menschen- und Minderheitenrechte in der Volksrepublik China geführt. Die stv. Abteilungsleiterin für Politik und Recht, Frau Prof. Xiaoling Zhang und die Rechtswissenschaftlerin Frau Prof. Yajin Wang erläuterten mir die Auswirkungen der Beratungen der vierten Plenarsitzung des 18. Zentralkomitees der KP Chinas für die Rechtsstaats-Entwicklung sowie die Verbesserung der Rechtssituation des Bürgers gegenüber Verwaltung und Justiz. Beide Wissenschaftlerinnen betonten dabei die Notwendigkeit einer effektiven Umsetzung der getroffenen Beschlüsse, die zu mehr Rechtssicherheit, Bürgerbeteiligung und demokratischer Entwicklung in der VR China führen sollen.
Was ist Ihr Eindruck: Wird China etwa europäischer werden – oder müssen wir als Exportnation noch stärker „chinesischer“ denken?
Wir leben in einer globalisierten Welt und nationale Grenzen verlieren im Hinblick auf die internationalen Finanz- und Wirtschaftsmärkte zunehmend an Bedeutung. Es geht nicht darum, „europäischer“ oder „chinesischer“ zu denken, sondern vielmehr muss es unser gemeinsames Ziel sein, den internationalen Finanz- und Wirtschaftsmärkten verbindliche Regeln zu geben. China ist hierzu bereit. Es will gerade auch in der Frage eines qualifizierten Wachstums mit uns eng zusammenarbeiten, das im Sinne einer sozialen und ökologischen Marktwirtschaft eben nicht Raubbau an Natur und Umwelt betreibt und den Menschen mit seinen Bürgerrechten und sozialen Bedürfnissen auch in den Blick nimmt und seine Rechte achtet.
Zum Artikel mit dem Interview in der Frankenpost gelangen Sie hier.
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