Anlässlich der anhaltenden Debatte um die im polnischen Sejm beschlossene Kürzung des Deutschunterrichts für die deutsche Minderheit in Polen fand als Gemeinschaftsveranstaltung der Stiftung Verbundenheit mit den Deutschen im Ausland und der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Minderheiten (AGDM) in der Föderalistischen Union Europäischer Volksgruppen (FUEN) eine Online-Diskussion zum Thema „Die Kürzung des Deutschunterrichts der deutschen Minderheit in Polen und die Folgen“ statt.
Moderiert wurde die Veranstaltung vom Stiftungsratsvorsitzenden der Stiftung Verbundenheit und ehemaligen Beauftragten der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten, Hartmut Koschyk. Zu den Teilnehmern der Expertenrunde zählten der Vorsitzende des Verbandes der deutschen sozial-kulturellen Gesellschaften in Polen (VdG) und Sprecher der AGDM in der FUEN, Bernard Gaida, der Politologe Dr. Marek Mazurkiewicz von der Universität Oppeln/Opole, die Minderheitenrechtsexpertin Dr. Beate Sibylle Pfeil, Mitglied im Sachverständigenausschuss der Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen des Europarats, sowie MdB Knut Abraham, Vorstandsmitglied der Stiftung Verbundenheit mit den Deutschen im Ausland und ehemaliger Deutscher Gesandter in Warschau.
Zum Auftakt schilderte Bernard Gaida die Lage aus Sicht der betroffenen Minderheit und er fand deutliche Worte: man habe der Veranstaltung auch den Titel „die Einführung der Diskriminierung der deutschen Minderheit und die Einführung der Stigmatisierung Deutsch lernender Kinder in das polnische Rechtssystem“ nennen können. Er sprach von einer historischen Veränderung in der Geschichte Polens: zum ersten Mal werden Minderheiten in Polen in zwei Kategorien eingeteilt, was die deutsche Minderheit in ihrer Würde verletze.
Dr. Beate Sibylle Pfeil wies darauf hin, dass Polen bereits jetzt gegen seine Verpflichtungen aus der Europarat-Sprachencharta verstoße. So habe sich Polen bei Ratifizierung der Charta 2009 u.a. dazu verpflichtet, Deutsch (wie auch die anderen Minderheitensprachen) auf der Vor-, Primar- und Sekundarschulebene als Unterrichtssprache – und nicht lediglich als Unterrichtsfach – einzuführen. Polen habe diese Verpflichtung trotz entsprechender Aufforderungen von Seiten des Europarates bisher nicht umgesetzt. Die nun bewusst nur auf Deutsch abzielende Reduktion der Unterrichtsstunden bedeute nicht nur eine gezielte Diskriminierung, sondern zugleich eine existenzielle Bedrohung für Deutsch als Minderheitensprache in Polen und verstoße somit mehrfach auch gegen geltendes Völkerrecht. Der Sachverständigenausschuss für die Sprachencharta habe sich entsprechend besorgt gezeigt und die polnischen Behörden um weitere Informationen gebeten. Es gelte nun, die Krise in eine Chance zu verwandeln und auf möglichst vielen Ebenen, insbesondere auch bilateral, auf die konsequente Umsetzung der Sprachencharta zu drängen.
Auch Dr. Marek Mazurkiewicz sprach von „klarer Diskriminierung“ und zudem einem klaren Verstoß gegen die polnische Verfassung. Zwar sei die populistische Instrumentalisierung des Themas insbesondere von rechtskonservativer Seite nicht neu. Neu sei jedoch, dass dies gesetzliche Konsequenzen habe. Das ganze Thema habe leider eine gewisse Aussagekraft über den Zustand der polnischen Demokratie. Hoffnung mache jedoch die Reaktion eines Teils der polnischen Zivilgesellschaft. Hiermit wies er vor allem auf die zeitgleich mit der Online-Veranstaltung stattfindenden Solidaritätsbekundungen des „Komitees zur Verteidigung der Demokratie – Region Oppeln“ hin. Es sei bemerkenswert, dass hier polnische Bürger für die deutsche Minderheit demonstrieren.
Ähnliches wusste auch Bernhard Gaida zu berichten. Neben den Bundestagsfraktionen von Union und SPD, der deutschen Botschaft und dem Minderheitsbeauftragten Prof. Dr. Bernd Fabritius, denen er für ihre schnelle Unterstützung dankte, stellte er insbesondere die von den Gesetzesänderungen nicht-betroffenen polnischen Minderheiten heraus: „Wir fühlen die Solidarität der anderen Minderheiten“. Auch ein Teil der Polonia in Deutschland lasse sich nicht für innenpolitische Ziele instrumentalisieren.
Knut Abraham MdB ordnete die Thematik schließlich in einen globaleren Kontext ein: es handele sich um ein dringendes Thema, das schnell eine Lösung brauche und das sich in das Bild der Verschlechterung der bilateralen Beziehungen zwischen Deutschland und Polen einfüge. Hier sei die Bundesregierung in die Pflicht zu nehmen: es helfe nur eine „hochrangige Ansprache“. Lobende Worte fand er diesbezüglich für den ursprünglich als Gast vorgesehenen, jedoch im Zuge der Tagesereignisse anderweitig verpflichteten Dietmar Nietan, der es in seiner Reaktion „an Deutlichkeit nicht habe fehlen lassen“. Einig waren sich die Experten zuletzt aber auch darin, dass in der durch die Thematik reflektierten Krise der Deutsch-Polnischen Beziehungen auch eine Chance liege, die Beziehungen zu reformieren und langfristig zu verbessern. Gerade vor dem Hintergrund der Ukraine-Krise solle man, so Hartmut Koschyk, „nicht in kleinlichem Streit verharren“ sondern „über den Tellerrand hinausschauen und ein neues Kapitel eröffnen“. In die gleiche Kerbe schlug Dr. Mazurkiewicz, der darauf hinwies, die aktuelle Sicherheitskrise als Signal dafür zu sehen, „dass wir gewissen Herausforderungen nur gemeinsam begegnen können“. Die Ukraine-Krise zeige, wie wichtig ein Bewusstsein für den Wert von Minderheiten sei und das Demokratie und Freiheit ständiger Arbeit bedürfen.
Weitere Informationen zu diesem Thema finden Sie auf der Homepage der Stiftung Verbundenheit mit den Deutschen im Ausland unter www.stiftung-verbundenheit.de.
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