Für Deutschland
„Integration kann sehr gut gelingen“ / Bundesbeauftragter Koschyk über die Eingliederung von Millionen Menschen und die Lehren daraus.
26. Februar 2016
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Der Beauftragte der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten, Hartmut Koschyk  MdB, führte mit der Sächsischen Zeitung nachfolgendes Interview :

Herr Koschyk, Anfang der 90er-Jahre sind über zwei Millionen Spätaussiedler, vor allem aus Kasachstan und Russland …… zu Beginn auch sehr viele aus Polen und Rumänien …… nach Deutschland gekommen. Allein 1990 waren es fast 400 000 Menschen. Ist die Integration so vieler Menschen in Deutschland gelungen?

Im Großen und Ganzen: eindeutig ja. Kaum jemand kann sich ja daran erinnern – vor allem an die sehr hohen Zahlen. Zwischendurch kamen ja noch Hunderttausende Bürgerkriegsflüchtlinge dazu. Wir hatten mehrere Jahre mit mehr als einer halben Million Zuzügen.

Vielleicht ist das so aus dem Gedächtnis gerutscht, weil es verhältnismäßig wenig Probleme gibt.

Eine große Studie des Bamf macht ganz klar, dass die Integration weitestgehend gelungen ist. Wenn ich gefragt werde, was ich eigentlich als Beauftragter für Aussiedlerfragen zu tun habe, antworte ich immer scherzhaft: Ich kümmere mich um solche Problemfälle wie Helene Fischer oder Miroslav Klose… Aber im Ernst: Es gibt natürlich auch Integrationsverlierer. Viele der erwachsenen Spätaussiedler haben beispielsweise nicht gemäß ihrem Bildungsniveau in den Arbeitsmarkt gefunden. Wir sind damals zu bürokratisch vorgegangen.

Das hat sich geändert.

Ja. Inzwischen wurde die Anerkennung ausländischer Berufs- und Bildungsabschlüsse vereinfacht. Damals haben sich viele Spätaussiedler nicht davon ins Bockshorn jagen lassen. Ärztinnen haben Arbeit als Krankenschwestern gefunden, Ingenieure standen am Fließband, Lehrerinnen unterrichteten an privaten Musikschulen. Wir haben unter den Aussiedlern immer eine niedrigere Arbeitslosigkeit gehabt als in der angestammten Bevölkerung.

In der angestammten Bevölkerung gab es damals Vorbehalte. In einzelnen Gemeinden lebten plötzlich sehr viele Menschen, die aus Kasachstan kamen.

Das hat uns damals dazu bewogen, ein Wohnortzuweisungsgesetz zu schaffen. Das Gesetz hat damals zu einer gleichmäßigeren Verteilung der Aussiedler geführt. Ich kenne viele Aussiedler, die gegen ihren ursprünglichen Willen „auf dem Land“ gelandet sind. Die wollten nach Stuttgart oder München und kamen in die Oberpfalz. Und heute sind sie froh, weil sie dort bessere Möglichkeiten gefunden haben, beruflich und gesellschaftlich Fuß zu fassen. Und wir machen heute ähnliche Erfahrungen beispielsweise mit Syrern, die dezentral eher im ländlichen Raum untergebracht werden. Es ist auch für die angestammte Bevölkerung leichter, persönliche Beziehungen aufzubauen und den Flüchtlingen bei der Eingewöhnung zu helfen.

Es gibt aber verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Wohnortzuweisung.

Die gab es damals auch. Wir haben das aber sorgfältig verfassungsrechtlich geprüft. Denn es ging ja sogar darum, die Freizügigkeit von deutschen Staatsbürgern – denn das waren die Aussiedler ja – bis zu einer Dauer von zwei Jahren einzuschränken. Das Bundesverfassungsgericht hat das Gesetz später bestätigt. Und ich sehe keinen Grund, weshalb man nicht heute wieder so ein Gesetz auf den Weg bringen sollte, um zu verhindern, dass einzelne Kommunen überfordert werden.

Vielfach gab es Probleme mit ansteigender Kriminalität, mit jungen Männern, mit Alkohol – gehört das unweigerlich zu einem Integrationsprozess dazu?

Man darf das natürlich nicht einfach hinnehmen. Man muss gegensteuern. Ein Programm, das gerade jetzt wieder eine große Rolle spielt, damals aber begonnen wurde, heißt: Integration durch Sport. Der Gedanke war schon damals, dass junge Männer, „die vor Kraft nicht laufen können“, in Sportvereine integriert werden. Ganz ähnlich ist es in der Kultur, in der Musik, und dann natürlich bei Feuerwehr oder THW. Aber wir müssen den Leuten auch raten: Wahrt Eure kulturelle Identität.

Im Moment wird doch dauernd gefordert, die Flüchtlinge müssten unsere Kultur annehmen, und nicht in eine Parallelgesellschaft abdriften …

Das Bewahren der eigenen Kultur ist kein Integrationshindernis. Im Gegenteil. Die vielen Beispiele gelungener Integration von muslimischen Zuwanderern zeigen, dass die Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft die Integration unterstützen kann. Beispielsweise kann die Seelsorge der Gemeinden den Neuankömmlingen bei der Bewältigung der Herausforderungen in der neuen Heimat helfen.

Aber nur, wenn sie nicht dazu führt, dass unsere Gesellschaft als falsch oder feindlich verstanden wird, oder?

Natürlich müssen die Menschen, die zu uns kommen – das gilt für Russlanddeutsche ebenso wie für Menschen mit muslimischem Hintergrund –, lernen, dass wir in einer pluralen Gesellschaft leben. Der Staat pflegt zwar ein kooperatives Verhältnis zu den Religionsgemeinschaften, aber die Werte unseres Grundgesetzes stehen über den religiösen Werten. Auch Russlanddeutsche, die einen christlich-fundamentalistischen Glauben mitgebracht haben, mussten lernen, dass auch unsere Kirchen offener sind.

Das gilt nicht unbedingt für alle unsere Moscheen…

Deswegen müssen Länder und Kommunen nun noch mehr als bisher dafür sorgen, dass Religionsunterricht – auch muslimischer – in den Schulen unter staatlicher Aufsicht stattfindet, und nicht in Kreuzberger Hinterhöfen.

Lässt sich die Integration der Russlanddeutschen mit ihrem europäisch-christlichen Hintergrund überhaupt mit der muslimischer Araber vergleichen?

Ja und nein. Es ist natürlich ein Unterschied, ob ich jemanden mit christlichem Glauben in ein christlich geprägtes Land integriere. Aber christliche Aussiedler mussten beispielsweise in Ostdeutschland die Erfahrung machen, dass sie in einer atheistisch geprägten Gesellschaft gelandet waren. Das war für viele nicht einfach.

Wie ist es mit den Sprachkenntnissen?

Die Spätaussiedler aus Rumänien hatten erstklassige deutsche Sprachkenntnisse. In Ceausescus Rumänien wurde die deutsche Minderheit zwar unterdrückt, aber es gab ein deutschsprachiges Schulwesen. Das gab es in Polen nicht. Und viele der Aussiedler aus der jüngeren und mittleren Generation aus der Sowjetunion kamen ohne jede deutsche Sprachkenntnisse. Spracherwerb war auch damals eine entscheidende Integrationsherausforderung. Und wenn wir jetzt noch mal zu den jungen Männern zurückkommen: Um die muss man sich in besonderer Weise kümmern, aber ich glaube, dass die Unterschiede zwischen jungen Russlanddeutschen und jungen Arabern nicht sehr groß sind. Sie leiden alle vor allem unter der Erfahrung, in ihrer neuen Heimat nicht akzeptiert zu werden.

Würden Sie sagen, wir können den Herausforderungen der Integration der Flüchtlinge bei uns mit mehr Gelassenheit gegenübertreten?

Ja. Die Erfahrungen zeigen, dass Integration sehr gut gelingen kann. Natürlich bedeutet Gelassenheit nicht, dass man Kriminalitätsphänomene vernachlässigt. Es war wichtig, dass die jungen Russlanddeutschen, die vorübergehend auf die schiefe Bahn geraten sind, staatliche Gewalt gespürt haben.

Das Gespräch führte Sven Siebert.

Zum Interview auf dem Internetportal der Sächsischen Zeitung gelangen Sie hier.

 

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