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„Kein Abschluss der Aussiedlerpolitik“ / Interview mit Mittelbayerischer Zeitung über die Integration von Russlanddeutschen, Putins 5. Kolonne und Nordkorea
17. Juli 2017
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Der Korrespondent der Mittelbayerischen Zeitung, Reinhard Zweigler, führte mit dem Beauftragten der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten nachfolgendes Interview:

Herr Koschyk, derzeit redet alles über die Kriegsflüchtlinge aus Syrien oder dem Irak. Ist das Thema der deutschstämmigen Aussiedler aus Ländern der ehemaligen Sowjetunion abgeschlossen?

Keineswegs. Auch wenn sich die Zahl der zu uns kommenden Aussiedler, vor allem auf dem Weg der Familienzusammenführung, auf rund 6000 Menschen pro Jahr eingependelt hat. Das ist relativ wenig im Vergleich zum Ende der 80er und Anfang der 90er Jahre, wo jährlich einige Hunderttausend zu uns kamen – vor allem aus Staaten der ehemaligen Sowjetunion. Es leben rund 2,5 Millionen Russlanddeutsche in der Bundesrepublik.

Ist es über ein Vierteljahrhundert nach dem Fall des Eisernen Vorhangs nicht Zeit für einen Schlussstrich unter das Thema Aussiedler?

Nein, ich sehe keinerlei Notwendigkeit, über einen Abschluss unserer Aussiedlerpolitik zu spekulieren. Kein Bereich der Zuwanderung nach Deutschland ist so stark reglementiert wie der der Aussiedler aus den ehemaligen GUS-Staaten. Ein Schlussstrich wäre zudem das falsche Signal an alle Russlanddeutschen in den Staaten der ehemaligen Sowjetunion. Wir dürfen nie vergessen, dass Deutschland eine historisch-moralische Verpflichtung für diese Menschen hat, die etwa nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion unter Stalin unschuldig verfolgt und deportiert wurden, nur weil sie Deutsche waren.

Nach dem Fall Lisa, wo Tausende Russlanddeutsche gegen deutsche Behörden und Medien protestierten, weil diese eine angebliche Vergewaltigung einer 13Jährigen vertuscht hätten, drängt sich die Frage auf: Wie gut sind Russlanddeutsche hierzulande integriert, wenn sie der Propaganda russischer Medien folgen?

Zunächst einmal handelte es sich keineswegs ausschließlich um Deutsche aus der ehemaligen Sowjetunion, sondern in nicht unerheblichem Maße auch um andere Zuwanderer von dort. Guten Gewissens kann ich sagen, dass die große Mehrheit der Russlanddeutschen gut integriert ist. Eine aktuelle Studie stellt fest, dass sich die Mehrheit der Aussiedler durch deutschsprachige Medien informiert. Das Bundesinnenministerium hat bereits vor dem Fall Lisa die für die Integration speziell von Spätaussiedlern zur Verfügung stehenden Mittel auf 1,3 Millionen Euro verdoppelt. Wir als Bundesregierung wollen, dass Aussiedler noch stärker an der Meinungs- und Willensbildung in Deutschland beteiligt werden. Deshalb arbeiten wir auch eng mit Organisationen wie der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland zusammen. Hinzu kommt, dass viele Aussiedler christlichen Glaubens sind, sei es evangelisch, katholisch oder freikirchlich. Sie erwarten geradezu, dass sie von den Kirchengemeinden angesprochen werden.

Dennoch war der Fall Lisa, der sich als glatte Lüge herausstellte, ein Propaganda-Coup von russischen Medien bis hin zu Außenminister Lawrow.

Es haben zwei Dinge zusammengespielt: Rechte Kreise, etwa NPD, AfD und Splittergruppen, haben versucht, mit diesem hochemotionalen Fall unter Russlanddeutschen Stimmung zu machen. Gleichzeitig hat die russische Politik diesen Fall propagandistisch missbraucht. Mein Eindruck ist, dass viele Aussiedler inzwischen erkannt haben, vor wessen Karren sie da gespannt wurden und sie heute viel sensibler damit umgehen. Ich bin dem früheren Außenminister Frank Walter Steinmeier und der Bundeskanzlerin dankbar, dass sie gegenüber ihren russischen Partnern den Fall klar zur Sprache gebracht haben. Moskau hat offenbar erkannt, dass die Aussiedler keine Zielgruppe russischer Politik in Deutschland sind und auch nicht sein wollen.

Dennoch betrachten manche die Aussiedler als eine Art 5. Kolonne Putins, der etwa die EU spalten will.

Gegen dieses Pauschalurteil führe ich eine von Staatsministerin Aydan Özuguz gemeinsam mit dem Sachverständigenrat Deutscher Stiftungen für Migration und Integration vorgelegte Studie an. Danach gibt es unter Aussiedlern zwar auch Sympathien für die AfD oder auch die Linke. Doch eine große Mehrheit hat eine klare Präferenz für Union oder SPD.

Machen Sie sich Sorgen, weil in manchem Viertel deutscher Städte vorwiegend Russisch gesprochen wird, es russische Sportvereine, Clubs und Unternehmen gibt?

Darüber mache ich mir keine Sorgen. Die große Mehrheit der Aussiedler weiß, dass die deutsche Sprache der Schlüssel zur Integration ist. Und wenn daneben an der russischen Sprache, der russischen Kultur festgehalten wird, ist das an sich nicht schlecht. Ich kenne viele Russlanddeutsche in deutschen Firmen, die den Kontakt in den Wirtschaftsraum der ehemaligen GUS-Staaten, nach Russland oder zentralasiatische Republiken gewährleisten. Die russische Sprache ist für den wirtschaftlichen und kulturellen Brückenschlag von großem Vorteil.

Themenwechsel. Als Vorsitzender der Deutsch-Koreanischen Parlamentariergruppe sind Sie einer der wenigen Abgeordneten, die Nordkorea besucht haben, mit nordkoreanischen Politikern im Gespräch sind. Es gab bereits den neunten Raketentest Nordkoreas in diesem Jahr. Wissen Sie, was der junge Machthaber Kim Jong Un will?

Ich denke, Nordkorea geht irrational und rational zugleich vor. Irrational aus unserer demokratischen Sicht betrachtet. Aus nordkoreanischer Perspektive jedoch rational, nachvollziehbar. Kim Jong Un geht es in erster Linie um die Sicherung des Überlebens seines Regimes, das weniger ein kommunistisch-ideologisches als vielmehr ein mächtiger Familienclan ist. Diesem Ziel dient ein gewaltiger Sicherheits- und Armeeapparat.

Donald Trump schließt ein militärisches Vorgehen gegen Pjöngjang nicht aus.

Ich glaube, die vielen Experten haben recht, die sagen, dass es in diesem Fall keinen realistischen militärischen Lösungsansatz gibt. Ermutigend sind die Bemühungen von China und den USA, diesen Konflikt diplomatisch und politisch zu entschärfen. Im Zusammenwirken beider Großmächte liegt der Schlüssel für eine Lösung des Konflikts auf der koreanischen Halbinsel.

Ist es da hilfreich, wenn Washington Südkorea eine Raketenabwehrschirm gegen den Norden anbietet?

Da habe ich meine Zweifel. Es geht dabei nicht so sehr um die Abwehrraketen an sich, sondern mehr um die Aufklärungskomponente, mit der die USA weit nach China und Russland hinein schauen könnten. China scheint bereit, einen Beitrag zur Lösung des Problem zu leisten. Doch darf es dabei nicht zu einem einseitigen geostrategischen Vorteil für die USA kommen. Ähnlich verhält es sich mit Russland.

Wie kann die derzeitige Sprachlosigkeit zwischen Pjöngjang und dem Rest der Welt überwunden werden?

Südkorea ist jedes Format recht, um wieder mit dem Norden in einen innerkoreanischen Dialog einzutreten. Ich denke auch, dass es zu vertraulichen Gesprächen zwischen den USA und Nordkorea kommen muss. Berlin war übrigens schon häufiger der Ort für derartige Gespräche, die nicht an die große Glocke gehängt wurden.

Kann der Westen mit Kim Jong Un reden, solange der immer neue Raketen abfeuern lässt?

Voraussetzung für Gespräche ist natürlich, dass die Staatengemeinschaft Pjöngjang unmissverständlich klar macht, dass die ständigen Provokationen keine Grundlage für einen Dialog sind. Entspannung und Zusammenarbeit sind, auf lange Sicht betrachtet, auch unabdingbar für Nordkorea. Gegen den Rest der Welt kann das Land auf Dauer nicht bestehen!

Den Artikel im Internet finden Sie hier.

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