Zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts in Sachen Vertrag von Lissabon erklärt der Bayreuther Bundestagsabgeordnete und Parlamentarische Geschäftsführer der CSU-Landesgruppe im Deutschen Bundestag, Hartmut Koschyk:
„In Sachen Vertrag von Lissabon hat das Bundesverfassungsgericht ein Urteil für die Bürger als Souverän, für den Bundestag als Auftraggeber und Kontrolleur der Bundesregierung sowie für eine Fortsetzung der europäischen Integration, die bürgernah und demokratisch fundiert ist, getroffen. Zu Recht betont das Bundesverfassungsgericht die primäre Verantwortung der Mitgliedstaaten für die europäische Integration und erteilt damit der Idee eines europäischen Bundesstaats eine klare Absage. Mit konkreten Vorgaben, in welchen wesentlichen Bereichen den Mitgliedstaaten ausreichender Gestaltungsraum verbleiben muss, schützt es das demokratische System in Deutschland vor einer Aushöhlung durch die EU.
Der ausdrückliche Auftrag des Bundesverfassungsgerichts, parlamentarische Zustimmungsvorbehalte bei einer Vielzahl grundlegender europäischer Entscheidungen gesetzlich zu verankern, ist ein Glücksfall für den Deutschen Bundestag. Dies entspricht langjährigen Forderungen der CSU-Landesgruppe, die bislang mangels Mut und Mehrheit nicht durchsetzbar waren. Nunmehr ist klar, dass diese Zustimmungsvorbehalte – in vereinfachten Vertragsänderungsverfahren und bei ähnlichen Vertragsänderungen, bei den Brückenklauseln, bei der sogenannten Flexibilitätsklausel zur Kompetenzerweiterung und im Strafrecht – sogar verfassungsrechtlich geboten sind.
Der Bundestag muss das Begleitgesetz zum Vertrag von Lissabon entsprechend ändern. Dies kann zügig gelingen, jedoch muss Qualität Vorrang vor dem Zeitplan haben. Dabei darf nicht nur das verfassungsrechtlich notwendige Minimum getan werden. Vielmehr ist es verfassungspolitisch geboten, auch die Aufnahme von Verhandlungen zu EU-Beitritten und Vertragsänderungen einem vorherigen Zustimmungsbeschluss des Bundestages zu unterwerfen.
Von außerordentlich hoher Bedeutung ist die Klarstellung, dass das Bundesverfassungsgericht eine eigene Prüfungskompetenz über Rechtsakte der europäischen Organe und Einrichtungen für sich in Anspruch nimmt. Sie bezieht sich sowohl auf die Wahrung der Kompetenzordnung einschließlich des Subsidiaritätsprinzips (Ultra-vires Kontrolle) als auch auf den Kerngehalt der Verfassungsidentität des Grundgesetzes (Identitätskontrolle).
Der richterlicher Zurückhaltung entsprechende Hinweis, dass hierzu die Schaffung eines eigenen verfassungsrechtlichen Verfahrens „denkbar“ wäre, darf als dringende Bitte des Bundesverfassungsgerichts gewertet werden. Aus Gründen der Rechtsklarheit sollte der Deutsche Bundestag – als der große Gewinner dieses Urteils – diesem Ersuchen nachkommen. Eine entsprechende Änderung des Grundgesetzes kann im Zuge der Änderung des Begleitgesetzes zum Vertrag von Lissabon beschlossen werden.“
There are 0 comments