Radiointerview des Bayreuther Bundestagsabgeordneten und Parlamentarischen Geschäftsführers im Deutschen Bundestag, Hartmut Koschyk, am 5.8.2009 im Deutschlandfunk zum Begleitgestz zum EU-Vertrag. Das Interview führte mit Dirk Müller.
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Die CSU will künftig bei allen EU-Entscheidungen der Bundesregierung den Bundestag eingeschaltet wissen. Das ist mehr, als das Bundesverfassungsgericht jüngst für eine zwingende Neuauflage des Begleitgesetzes zum Lissabon-Vertrag der EU vorgab.
Dirk Müller: Wann ist endlich der viel gerühmte und zugleich berüchtigte Lissabon-Vertrag der Europäischen Union unter Dach und Fach? Das werden sich viele fragen, die in diesen Tagen auch mal wieder in die Zeitungen blicken. Diesmal kam das Stoppschild vor wenigen Wochen eben höchst richterlich aus Karlsruhe, aus Deutschland. Ein grundsätzliches Ja zum Regelwerk urteilten die Richter, aber damit verbunden mehr Rechte für den Bundestag und mehr Rechte für den Bundesrat. So heißt es für viele Abgeordnete der Großen Koalition, Verzicht auf die schönen Tage des Sommers, sondern hart arbeiten an einem Begleitgesetz im Auftrag Karlsruhes. Das wiederum führt die CSU nun auf den Plan, noch mehr zu wollen, nämlich dass die Bundesregierung bei allen EU-Vorhaben bereits vorher die Zustimmung der deutschen Parlamente einholt. Damit gerät der Zeitplan der Großen Koalition in Gefahr, das geforderte Begleitgesetz in der ersten Septemberwoche zu verabschieden, also noch vor den Bundestagswahlen. – Darüber sprechen wollen wir nun mit Hartmut Koschyk, Parlamentarischer Geschäftsführer der CSU-Landesgruppe im Bundestag. Guten Morgen!
Hartmut Koschyk: Guten Morgen, Herr Müller.
Müller: Herr Koschyk, warum muss die CSU jetzt noch alles komplizierter machen?
Koschyk: Wir wollen, dass die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes optimal umgesetzt wird, und wir merken in der Diskussion, die wir jetzt am Montag in Berlin geführt haben, dass zum Beispiel auch die Grünen der Auffassung sind, dass der Bundestag, wenn er verbindliche Stellungnahmen abgibt, bevor die Bundesregierung auf europäischer Ebene handelt, dass dieser Grat der Verbindlichkeit die Bundesregierung dann auch bindet. Wir wollen allerdings der Bundesregierung einen Freiraum lassen, wenn es um wichtige außen- und integrationspolitische Vorhaben geht. Also es geht darum, dass die Mitwirkungsrechte von Bundestag und Bundesrat stärker beachtet werden, so wie das auch das Bundesverfassungsgericht gefordert hat.
Müller: Aber die Entscheidungsprozesse werden komplizierter?
Koschyk: Das glaube ich nicht. Wir haben ja auch in anderen europäischen Ländern ähnliche Bindungswirkungen von Mehrheitsbeschlüssen der Parlamente. Das ist in Dänemark so, das ist in Österreich so, und wir sind schon der Auffassung, dass das, was Karlsruhe dem Bundestag aufgegeben hat, jetzt optimal umgesetzt werden muss, und wir stellen erfreut fest, dass zum Beispiel die Grünen den wissenschaftlichen Dienst des Bundestages um einen Gesetzentwurf gebeten haben, wo die bisherige Zusammenarbeitsvereinbarung zwischen Regierung und Parlament jetzt in Gesetzesform gegossen werden soll, und das kommt unseren Vorstellungen schon sehr nahe und auf der Grundlage wollen wir weiter diskutieren.
Müller: Müssen wir uns, Herr Koschyk, jetzt schon häufiger daran gewöhnen, dass die CSU die Grünen als Kronzeugen zitiert?
Koschyk: Nein! Es geht doch darum, dass wir insgesamt jetzt einmal uns ansehen, wie können wir auch nach den Vorgaben aus Karlsruhe die Mitwirkungsrechte des Bundestages stärken, und darum wollen wir uns jetzt konstruktiv bemühen. Wir kommen in den Gesprächen gut voran und insgesamt muss es uns doch darum gehen, viel Europaskepsis bei den Bürgerinnen und Bürgern zu zerstreuen. Wir können es doch nicht ständig hinnehmen, dass die Wahlbeteiligung bei Wahlen zum Europäischen Parlament von Wahl zu Wahl zurückgeht, und ich glaube, wenn wir den Bürgern das Gefühl geben, dass wir zum Beispiel als Deutscher Bundestag uns genau anschauen, bevor etwas von europäischer Ebene als Rechtsetzung erfolgt, wenn wir da auch unsere Rechte offensiv nutzen, dann werden wir auch wieder ein Stück Europaskepsis der Bürger überwinden können.
Müller: Aber das haben Sie bis jetzt ja auch getan. Sie haben ja immer ganz genau draufgeschaut. Haben Sie denn persönlich, Herr Koschyk, damals zugestimmt zum Lissabon-Vertrag?
Koschyk: Ich habe dem Lissabon-Vertrag zugestimmt.
Müller: Warum?
Koschyk: Aber wir hätten uns zum Beispiel – übrigens nicht nur CDU und CSU, sondern auch die SPD – von vornherein eine stärkere Beachtung der Mitwirkungsrechte gewünscht. Jetzt sagt das Bundesverfassungsgericht, die Zusammenarbeitsvereinbarung zwischen Bundestag und Bundesrat ist von Form und Inhalt her dem Vorgang nicht angemessen; jetzt müssen wir ein neues Begleitgesetz vorlegen. CDU und CSU haben ja im Jahr 2005 einen Gesetzentwurf vorgelegt, der zu stärkeren Mitwirkungsrechten des Bundestages geführt hätte. Hätte man seinerzeit von rot-grün diesen Gesetzentwurf konstruktiv aufgegriffen, hätten wir jetzt diese Ohrfeige aus Karlsruhe nicht bekommen.
Müller: Aber Sie haben zugestimmt, Herr Koschyk, und das hat Ihnen dann nicht gereicht, und jetzt hat Ihnen oder musste Ihnen das Bundesverfassungsgericht helfen.
Koschyk: Ich sage noch mal: Hätte man auf den Gesetzentwurf von CDU und CSU aus dem Jahr 2005 gehört, dann hätte uns Karlsruhe jetzt sicher nicht diese Sommerhausaufgaben gegeben, und deshalb wollen wir jetzt konstruktiv mit allen anderen Fraktionen sprechen und ich sage, das was ich am Montag auch gerade von den Grünen gehört habe, was sie an Vorgaben jetzt durch den wissenschaftlichen Dienst des Bundestages haben erarbeiten lassen, das ist eine gute Grundlage, auf der wir weiter diskutieren werden.
Müller: Frau Merkel hat dem Lissabon-Vertrag zugestimmt. Warum haben Sie ihr denn nicht gesagt, dass das nicht ausreicht?
Koschyk: Wir haben bei unserer Klausurtagung in Kloster Banz mit der Bundeskanzlerin sehr intensiv über unsere Vorstellungen diskutiert, was stärkere Mitwirkungsrechte des Bundestages und des Bundesrates anbelangt. Die Bundeskanzlerin hat sehr aufmerksam zugehört und ich glaube, sie ist auch der Auffassung, dass wir jetzt ein Gesetz machen müssen, das nicht noch einmal, wenn es in Karlsruhe beklagt wird, vom Bundesverfassungsgericht verworfen wird.
Müller: Die Frage, Herr Koschyk, war darauf bezogen, warum Sie das nicht Angela Merkel gesagt haben, bevor das Parlament zugestimmt hat.
Koschyk: Angela Merkel selber hat ja den Gesetzentwurf 2005, den CDU und CSU eingebracht haben, unterschrieben. Sie war damals Fraktionsvorsitzende von CDU und CSU. Deshalb glauben wir, dass dieser Gesetzentwurf von 2005 mit den Formulierungen, die wir damals gefunden haben, jetzt eine gute Beratungsgrundlage ist.
Müller: Aber Sie haben nicht zugestimmt und waren nicht zufrieden und haben es damals der Kanzlerin nicht gesagt.
Koschyk: Selbstverständlich. Es geht doch nicht darum, wer wann was gesagt hat, sondern es geht darum, dass wir jetzt den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes für stärkere Mitwirkungsrechte von Bundestag und Bundesrat genügen. Wir wollen, dass möglichst viel an Dingen, die in Europa entschieden werden, vom deutschen Parlament, bevor sie in Europa entschieden werden, aufmerksam diskutiert, aufmerksam begleitet werden, und da hatten wir 2005 einen Gesetzentwurf vorgelegt und über den wollen wir jetzt, wenn es um ein neues Begleitgesetz geht, mit den anderen Fraktionen konstruktiv verhandeln.
Müller: Herr Koschyk, jetzt sagen die Kritiker, wenn das Parlament jetzt alles entscheidet, so wie das die CSU will, dann können wir auf die Regierung verzichten.
Koschyk: Wir wollen ja nicht alles entscheiden; wir wollen der Regierung ihre operative Handlungsfähigkeit erhalten.
Müller: In einigen Fragen!
Koschyk: Und wenn Sie sich den Gesetzentwurf, der jetzt im Auftrag der Grünen vom wissenschaftlichen Dienst des Bundestages erarbeitet worden ist, ansehen – wir werden ja auch von führenden Rechtslehrern in Deutschland beraten -, das Bundesverfassungsgericht selber hat ja in seiner Entscheidung einige Hinweise gegeben, wie wir das Problem jetzt lösen können. Und ich sage noch einmal: Wenn wir uns jetzt als Parlamentarier insgesamt darum bemühen, unsere Rechte zu stärken, können wir am Schluss zu einem guten Ergebnis kommen.
Müller: Ihr CDU-Kollege Elmar Brok sagt dazu, wenn das alle 27 Länder so machen würden, wie das jetzt die CSU für das deutsche Parlament will, dann kann man sich den Vertrag gleich sparen.
Koschyk: Herr Brok wird doch wissen, dass das, was wir wollen, in Österreich und Dänemark längst Praxis ist, und ich habe nicht den Eindruck, dass Österreich und Dänemark die europäischen Gänge aufhalten, das europäische Geschäft aufhalten. Von daher, glaube ich, sollte man jetzt zur Sachlichkeit zurückkehren und ich stelle noch einmal fest: für das, was wir vorschlagen, finden wir auch über unsere eigene Partei hinaus Unterstützung im Parlament, aber auch in der Öffentlichkeit.
Müller: Dennoch, viele sagen, es ist eine deutsche Extrawurst. Warum fordern Sie die?
Koschyk: Es geht doch nicht um eine deutsche Extrawurst. Ich sage noch einmal: das, was wir vorschlagen, ist in Dänemark, ist in Österreich lange Praxis und warum sollen deutsche Parlamentarier im Hinblick auf ihre Mitwirkungsrechte an europäischen Rechtsetzungsakten weniger wollen, als dies in Österreich und Dänemark bereits seit Jahren Praxis ist.
Müller: Wir reden ja insgesamt in der Europäischen Union um 27 Länder, Sie zitieren immer zwei. Aber kommen wir auf den anderen Punkt zurück: die Grünen. Die haben Sie jetzt mehrfach zitiert. Die SPD, das ist immerhin jetzt ja noch zumindest bis September Ihr Koalitionspartner, nicht die Grünen. Die haben ganz klar gesagt, Axel Schäfer, europapolitischer Sprecher der SPD-Fraktion, die meisten Forderungen der CSU können wir in wesentlichen Punkten nicht mittragen. Warum soll jetzt ein Kompromiss zustande kommen?
Koschyk: Wir hatten ja ursprünglich eine Zusammenarbeitsvereinbarung in den europäischen Angelegenheiten zwischen Bundestag und Bundesregierung mit der SPD erarbeitet. Ich sage noch einmal: Wir haben uns dann auch ein Stück in den Diskussionen bereit erklärt, davon Abstriche zu machen. Jetzt hat das Bundesverfassungsgericht gesagt, das war zu wenig, und deshalb erinnern wir unseren Koalitionspartner SPD daran, was er selbst in einem Papier mit uns gemeinsam an Möglichkeiten der Stärkung des Bundestages bei europäischen Rechtsetzungsakten gefordert hat. Insofern greifen wir auch in unseren Gesprächen jetzt mit der SPD auf Formulierungen zurück, die wir längst einmal mit der SPD für die Stärkung der Mitwirkungsrechte diskutiert und erarbeitet haben.
Müller: Demnach hat die SPD Ihre Forderungen, Herr Koschyk, nicht richtig verstanden?
Koschyk: Wissen Sie, man muss immer sehen, worüber unterhält man sich bei Gesprächen und was wird dann auch öffentlich vor und nach Gesprächen ein Stück an Informationspolitik betrieben. Wir setzen darauf, dass alle Fraktionen des Bundestages das wollen, was Karlsruhe uns aufgegeben hat, nämlich in vernünftiger Weise die Mitwirkungsrechte von Bundestag und Bundesrat stärken.
Müller: Wenn wir jetzt die SPD-Position und der SPD-Haltung folgen, Herr Koschyk, wenn die SPD keine weiteren Zugeständnisse macht, sind Sie dann bereit, das Begleitgesetz platzen zu lassen?
Koschyk: Wir setzen darauf, dass wir in vernünftigen Gesprächen – wir haben ja noch etliche Verhandlungen vor uns – zu einem guten Ergebnis kommen, denn ich sage noch einmal: Niemand kann doch ein Interesse daran haben, dass das Begleitgesetz noch einmal beklagt wird und wir dann wieder vom Bundesverfassungsgericht die Note Sechs bekommen, weil wir unsere Mitwirkungsrechte als Bundestag und Bundesrat nicht entsprechend umgesetzt haben, und darum muss es gehen, denn es kann sich das deutsche Parlament nicht noch einmal leisten, von Karlsruhe gesagt zu bekommen, ihr habt nicht genug darauf geachtet, dass auch im Sinne einer demokratischen Legitimation von europäischen Rechtsetzungsakten durch das deutsche Parlament der Deutsche Bundestag seine Rechte nicht entsprechend wahrgenommen hat.
Müller: Einige Sozialdemokraten behaupten ja und sagen, dass Sie auf der anderen Seite in der Hinterhand schon wieder mit einer Drohkarte drohen, nämlich mit Peter Gauweiler, der eventuell bereit ist, eine neue Klage vorzubereiten. Stimmt das?
Koschyk: Uns geht es darum, jetzt ein Begleitgesetz, ein verfassungsfestes Begleitgesetz hinzubekommen, denn – ich muss es noch einmal sagen – wir haben ja als Deutscher Bundestag auch schon einmal beim Thema europäischer Haftbefehl vom Bundesverfassungsgericht gesagt bekommen, dass wir hier nicht genügend die Vorgaben unseres Grundgesetzes beachtet haben. Insofern sehe ich die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Vertrag von Lissabon und zum Begleitgesetz schon als eine grundlegende Entscheidung, die auch deutlich macht, dass unser Bundesverfassungsgericht zum Beispiel im Hinblick auf Auslegungsfragen europäischen Grundrechtsschutzes sich vorbehält, darüber letztendlich zu entscheiden und dies zum Beispiel nicht dem Europäischen Gerichtshof zu überantworten, und das sind alles Dinge, die sind zwar schwierig, weil es hier um schwierige Verfassungsrechtsmaterien geht, aber die können wir nicht einfach so beiseite wischen.
Müller: Herr Koschyk, wir haben nicht mehr viel Zeit. Dennoch noch mal die Frage Peter Gauweiler.
Koschyk: Ja. Peter Gauweiler hat vor dem Bundesverfassungsgericht gegen den Vertrag von Lissabon geklagt und auch gegen das Begleitgesetz. Das Bundesverfassungsgericht hat gesagt, der Vertrag von Lissabon ist verfassungskonform, nicht aber das Begleitgesetz, und es muss doch jetzt das gemeinsame Interesse des Parlaments sein, den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zu genügen, und darum bemühen wir uns.
Müller: Bei uns im Deutschlandfunk Hartmut Koschyk, parlamentarischer Geschäftsführer der CSU-Landesgruppe im Bundestag. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.
Koschyk: Auf Wiederhören, Herr Müller.
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