Interview im Nordbayerischen Kurier vom 3. März 2009
Frage: Ist eine sachliche Diskussion über die Situation Vertriebener heutzutage aus Ihrer Sicht möglich?
Koschyk: Im Vergleich zu den 90er Jahren wird alles, was mit Flucht und Vertreibung zu tun hat, in der nationalen aber auch in der internationalen Diskussion nicht mehr tabuisiert. Früher waren die Diskussionen zu diesem Thema sehr verkrampft, heute ist Flucht und Vertreibung ein wichtiges Thema der politischen und zeitgeschichtlichen Diskussion.
Frage: Wie beurteilen Sie die Erwartungshaltung der Vertriebenen?
Koschyk: Es geht in erster Linie um moralische Wiedergutmachung für das erlittene Unrecht und um die Anerkennung der historischen Wahrheit, weniger um materielle Ansprüche, die die Vertriebenen aber zweifelslos haben. Statt materieller Wiedergutmachung erwarten die Vertriebenen eher ein aufrichtiges Wort der Entschuldigung, wie es beispielsweise Ungarn oder die baltischen Staaten bereits getan haben. Von Polen und Tschechien kam das noch nicht in dieser Klarheit.
Frage: Können Sie denn auch die Haltung der Polen in der Steinbach-Frage verstehen?
Koschyk: Erika Steinbach wird in Polen zum Buhmann aufgebaut, das hat sie nicht verdient. Ich rate den Polen in dieser Sache zu mehr Gelassenheit und dazu, das souveräne Benennungsrecht des Bundes der Vertriebenen zu akzeptieren. In Berlin soll ein sichtbares Zeichen zum Gedenken an Flucht und Vertreibung entstehen, das der Verständigung dienen soll. Bei diesem Projekt soll sich auch Polen mit einbringen.
Frage: Die Personalie Erika Steinbach hat aber nicht nur in Polen, sondern auch innenpolitisch zu Diskussionen geführt .
Koschyk: Ich bedauere, dass unser Koalitionspartner SPD nun versucht, dieses Thema innenpolitisch auszuschlachten und zum Wahlkampfthema zu machen. Diese Entscheidung sollte sachlich getroffen werden, indem man miteinander und nicht öffentlich übereinander spricht.
Frage: Wie sollte Erika Steinbach Ihrer Meinung nach auf die um ihre Person geführte Diskussion reagieren?
Koschyk: Ich will hier keinen Ratschlag geben. Aber es bestehen keine Zweifel, dass Erika Steinbach eine engagierte Demokratin ist. Ich schätze sie als Kollegin, die Radikalismus bei den Vertriebenen verhindert hat und dafür sorgt, dass im Bund der Vertriebenen seit vielen Jahren ein auf Vernunft und Verständigung basierender politischer Kurs verfolgt wird. Die Kampagne gegen sie ist unsachlich und geht an der Realität vorbei. Jahrelang hat sie eng mit Peter Glotz zusammengearbeitet (Glotz und Steinbach initiierten gemeinsam die Stiftung Zentrum gegen Vertreibungen mit Sitz in Wiesbaden, die unter anderem die Flucht und Vertreibung der Deutschen ebenso wie auch die Vertreibung anderer Völker, insbesondere im Europa des 20. Jahrhunderts, dokumentieren soll, Anm. d. Red.). Auch Ralph Giordano hat die Angriffe gegen Frau Steinbach deutlich zurückgewiesen. Das zeigt, dass die Vorwürfe gegen sie unhaltbar sind. Die Diskussion sollte sich aber insgesamt nicht nur um Personen, sondern mehr um Inhalte drehen.
Frage: Denken Sie, die Beziehungen zwischen Deutschland und Polen werden aufgrund der aktuell geführten Diskussion um Erika Steinbach nachhaltig belastet?
Koschyk: Wir haben im Verhältnis zwischen Polen und Deutschland schon schwierigere Phasen überwunden. Wenn sich nun alle Seiten um Sachlichkeit Objektivität bemühen, kann größerer Schaden vermieden werden. Ich appelliere an die polnische Seite, sich auch um Verständigung zu bemühen und vor allem verbal abzurüsten.
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