Bundesbeauftragter Koschyk mit Vertretern der deutschen Minderheit in der Ukraine
Die Selbstorganisation der deutschen Minderheit in der Ukraine, der Rat der Deutschen in den Ukraine, hält am 6. Oktober in Kiew seinen 6. Kongress ab. Der Beauftragte der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten, Hartmut Koschyk MdB, übermittelt hierzu nachfolgendes persönliches Grußwort:
Sehr geehrter Vorsitzender des Rates der Deutschen Herr Leysle,
sehr geehrte Vertreter der deutschen Minderheit aus der ganzen Ukraine,
leider kann ich heute nicht persönlich an dem 6. Kongress der Deutschen der Ukraine teilnehmen. Ich bedaure dies sehr, da dieser Kongress der Deutschen den demokratischen Grundstein für die Arbeit der deutschen Minderheit in der Ukraine für die nächsten vier Jahre legt.
Dies ist gerade in politisch, wirtschaftlich und auch militärisch schwierigen Zeiten, wie sie die Ukraine derzeit durchlebt, von enormer Bedeutung. Seit April 2014 sind mehr als 10.000 Menschen aufgrund des militärischen Konflikts in der Ost-Ukraine umgekommen und über 3 Millionen Menschen befinden sich auf der Flucht. Die Ukraine muss 1,7 Millionen Binnenflüchtlinge bewältigen. Und die Wirtschaftslage bleibt – nicht nur wegen der Konfliktlage im Osten Ihres Landes – sehr fragil.
Diese schwierige Situation in der Ukraine geht auch an der deutschen Minderheit nicht spurlos vorbei. Die am stärksten von den Kampfhandlungen betroffenen Regionen des Landes sind zugleich auch die Siedlungsschwerpunkte der deutschen Minderheit in der Ukraine. Viele Angehörige der deutschen Minderheit können aufgrund der militärischen Auseinandersetzungen in der Ost-Ukraine nur mit größten Schwierigkeiten ihre ethnokulturelle Identität pflegen und schon gar nicht eine aktive Minderheitenarbeit betreiben. Im schlimmsten Fall mussten sie flüchten und einen schwierigen Neuanfang in einer anderen Region der Ukraine wagen. Das Bundesministerium des Innern kennt die Nöte dieser Menschen. Deswegen habe ich mich persönlich dafür eingesetzt, dass die jährliche Förderung im Jahr 2016 in Höhe von mehr als 800.000 Euro zusätzlich um 100.000 Euro erhöht wurde. So konnten Binnenflüchtlinge aus der Ost-Ukraine zusätzlich mit Lebensmittelpaketen und Online-Sprachkursen unterstützt werden. Auch im Jahr 2017 hat das Bundesministerium des Innern für die Unterstützung der deutschen Minderheit in der Ost-Ukraine zusätzlich 100.000 Euro zur Verfügung gestellt.
Doch Geld allein macht noch keine erfolgreiche Minderheitenpolitik aus. Maßgeblich sind auch das Engagement und die Effizienz der deutschen Minderheit in der Ukraine. Denn Ihre Selbst-organisation muss die Förderprojekte entwickeln und umsetzen. Ihre Selbstorganisation ist es, die Ihre Interessen gegenüber der deutschen Bundesregierung und der ukrainischen Regierung vertritt. Je geschlossener Sie auftreten, desto stärker werden Ihre Anliegen in der Politik Gehör finden. Deswegen wünsche ich Ihnen, dass Sie dem Rat der Deutschen der Ukraine (RDU) – trotz der verschiedenen Vereinszugehörigkeiten und gerade in dieser politisch und militärisch schwierigen Situation – ein starkes demokratisches Mandat für die nächsten vier Jahre erteilen und der RDU weiterhin ein Vorbild für die mancherorts zerstrittenen Selbstorganisationen anderer Länder bleibt.
Dieses gilt umso mehr, weil sich die politischen Rahmenbedingungen für eine erfolgreiche Arbeit zugunsten der deutschen Minderheit in der Ukraine seit der „Revolution der Würde“ im Winter 2013/14 entscheidend verbessert haben. Sichtbarer Ausdruck für diesen erfreulichen Wandel ist die Wiederbelebung der Deutsch-Ukrainischen Regierungskommission für die Angelegenheiten der Deutschen Minderheit in der Ukraine, die im Juli 2016 in Kiew ihre Arbeit wieder aufnahm – nach fast 15jähriger Unterbrechung. Im Juni dieses Jahres konnten die ukrainische Ko-Vorsitzende der Kommission, Frau 1. Stellvertretende Kulturministerin Switlana Fomenko, und ich die nächste reguläre Sitzung in Berlin durchführen. Ich bin sehr zuversichtlich, dass auch künftig die kontinuierliche Arbeit der Kommission gewährleistet ist. Ich möchte Frau Vize-Ministerin Fomenko für Ihre Unterstützung bei der Wiederbelebung der Kommissionsarbeit herzlich danken. Ihre Teilnahme an dem 6. Kongress der Deutschen in der Ukraine ist sichtbarer Ausdruck der hohen Wertschätzung, die die deutsche Minderheit bei der ukrainischen Regierung genießt. In der Werchowna Rada ist die Unterstützung nicht weniger stark ausgeprägt, insbesondere mit der Parlamentsabgeordneten Frau Iryna Fris verbindet mich eine gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit.
Auch in Deutschland genießt die deutsche Minderheit in der Ukraine hohes Ansehen. Der Vorsitzende des RDU, Herr Wolodymyr Leysle, leistet der Selbstorganisation mit seiner hervorragenden Vernetzung ausgezeichnete Dienste. Und auch die Ernennung von Herrn Alexander Schlamp zum ersten deutschen Honorarkonsul in Czernowitz markiert die Anerkennung und Wertschätzung für die deutsche Minderheit in der Ukraine sei-tens der Bundesregierung.
Bei diesem 6. Kongress der Deutschen haben Sie auch die Gelegenheit, sich über Ihre inhaltliche Ausrichtung auszutauschen und die bisherige Struktur Ihrer Selbstorganisation auf ihre Effizienz hin zu überprüfen. Ich würde es sehr begrüßen, wenn Sie diese Gelegenheit nutzen. Eine effiziente Selbstorganisation, die auf jegliche Doppelstrukturen verzichtet, kann mehr Mittel in Zukunftsprojekte investieren und so die Eigenverantwortlichkeit und Nachhaltigkeit der Minderheitenarbeit stärken. Konkret bedeutet dies, dass jeder Cent, der durch die Vermeidung von Doppelstrukturen eingespart wird, in Jugendprojekte, in Sprachförderung, in qualifizierte Schulungen der Nachwuchskräfte investiert werden kann.
Die Kinder- und Jugendförderung ist dabei für die Bundesregierung eine Herzensangelegenheit. Die Zukunft der deutschen Minderheit der Ukraine hängt von der Motivation der jungen Generation ab, das bisher Aufgebaute weiterzuführen und fortzuentwickeln. Die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen ist daher ein essentieller Bestandteil der Minderheitenpolitik. Ich hoffe, dass auch Sie die Bedeutung jeder einzelnen Jugendmaßnahme für die Zukunft der deutschen Minderheit erkennen und kritisch hinterfragen, wie zukunftsfähig und attraktiv Ihre Kinder- und Jugendangebote in den Regionen sind. Es ist notwendig, die Jugendangebote stärker an die unterschiedlichen Altersgruppen und die heutigen Interessen von Kindern und Jugendlichen anzupassen. Ich würde mich auch freuen, wenn Sie die neuen Medien stärker als bisher in die Kinder- und Jugendarbeit einbeziehen.
Auch die Spracharbeit liegt der Bundesregierung ganz besonders am Herzen. Die deutsche Sprache ist das Schlüsselelement für die Bewahrung der Identität nationaler Minderheiten, so dass Minderheitenschutz zwangsläufig auch den konsequenten Schutz der Minderheitensprache beinhalten muss. Die deutsche Sprache ermöglicht es Ihnen als Brückenbauer zwischen Deutschland und der Ukraine aufzutreten. Denn Sie sind gerade wegen Ihrer Sprachkenntnisse der Ansprechpartner sowohl für die Bundesrepublik als auch für die ukrainische Regierung. Auch viele Traditionen und Kulturveranstaltungen wären ohne die deutsche Sprache undenkbar. Sprache ist mehr als nur ein Kommunikationsmittel. Die deutsche Sprache ist vielmehr das Tor zur deutschen Kultur, zu deutschen Traditionen, zur deutschen Identität. Deswegen ist es uns wichtig, die bestehenden Sprachkonzepte weiterzuentwickeln und zukunftsfähig zu machen. Mehr bilinguale Schulen der deutschen Minderheiten, eine bessere Deutschlehrer-Ausbildung, die Schaffung von neuen innovativen Sprachlern-Plattformen, die Weiterentwicklung der sprachdidaktischen Grundlagen und die Diversifizierung der bisherigen Sprachangebote sind einige der Vorschläge in diesem Zusammenhang, die wir gemeinsam mit Ihnen allen mit Leben füllen müssen. Auf der Jahresplanungskonferenz im kommenden Monat kann der von Ihnen gewählte Vorsitzende Ihre heute gemeinsam entwickelten Ideen mit den Mitarbeitern des Bundesministeriums des Innern weiterverfolgen und vielleicht können Sie diese Ideen schon im nächsten Jahr in konkrete Maßnahmen umsetzen.
Der größte konzeptionelle Handlungsbedarf besteht bei der Förderung des Deutschunterrichts eindeutig im schulischen Bereich – dieses gilt nicht nur für die deutsche Minderheit in der Ukraine, sondern für alle deutschen Minderheiten im östlichen Europa und den Nachfolgestaaten der früheren Sowjetunion. Um hier Deutsch als Minderheiten-Muttersprache besser zu entwickeln, müssen wir den Schwerpunkt der Sprachförderpolitik künftig auf den schulischen und vorschulischen Deutschunterricht legen. Grundlage hierfür sollte das überaus erfolgreiche Konzept der PASCH-Schulen sein, das im Auswärtigen Amt für das deutsche Auslandsschulwesen entwickelt worden ist. Ich bin sehr froh, Ihnen berichten zu können, dass die zuständige Staatsministerin im Auswärtigen Amt, Frau Professor Dr. Maria Böhmer, und ich erst vor gut einem Monat in einem Gespräch mit Vertretern der deutschen Minderheiten die Einrichtung einer gemeinsamen Arbeitsgruppe zwischen dem Auswärtigen Amt und dem Bundesinnenministerium vereinbaren konnten.
Ich danke Ihnen allen für Ihr zivilgesellschaftliches Engagement und wünsche Ihnen lebhafte und fruchtbare Diskussionen. Möge der Rat der Deutschen der Ukraine auch in Zukunft ein Zentrum der Begegnung, des kulturellen, sozialen und zwischenmenschlichen Austausches bleiben.
Das Grußwort von Bundesbeauftragten Koschyk als pdf-Datei finden Sie hier.
Zum Internetportal der Deutschen in der Ukraine gelangen Sie hier.
Weiterführende Informationen zum 6. Kongress der Deutschen der Ukraine finden Sie hier.
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