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Chefreporter der WirtschaftsWoche Willershausen berichtet über seine Reise mit Koschyk nach Nordkorea /5-teilige Online-Serie
16. Juni 2015
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Bei seiner Reise nach Nordkorea wurde der Vorsitzende der Deutsch-Koreanischen Parlamentariergruppe des Deutschen Bundestages, Hartmut Koschyk MdB, von einer Delegation begleitet, der auch Florian Willershausen, Chefreporter der WirtschaftsWoche, angehörte. In einer 5-teiligen Online-Serie beschreibt er auf der Internetseite der WirtschaftsWoche seine Reiseeindrücke:

Teil 1: Kohlrabi von der Landebahn

Teil 2: Eine Zeitreise in die DDR

Teil 3: Besuch bei den ersten Liberalen

Teil 4: Kriegshetze in der Kirche

Teil 5: Freiheit bleibt ein Fremdwort

Eine Fotostrecke auf der Internetseite der WirtschafsWoche finden Sie hier.

Nordkorea WirtschaftsWoche

Teil 1) Kohlrabi von der Landebahn

Wer fliegt schon freiwillig in ein Land wie Nordkorea? Unser Chefreporter hat es gewagt. Und berichtet von einem der repressivsten Regime der Welt, das seltsam hin- und hergerissen ist zwischen Öffnung und Abschottung.

Als ich endlich das Visum für Nordkorea im Pass habe, elektrisiert eine bizarre Meldung die Welt: Kim Jong-un, Diktator in dritter Generation, habe seinen Verteidigungsminister mit einer Flak hinrichten lassen – weil der während einer öffentlichen Huldigung des Führers eingenickt sei.

Nun ja, höre ich von Freunden und Familie, dein Faible für Diktaturen und Schurkenstaaten in allen Ehren. Aber bist du wahnsinnig? Wer fliegt schon freiwillig in ein so düsteres Land wie Nordkorea? Ein von der Welt abgenabelter Fleck Erde, ohne Internet und medizinische Versorgung! Ein repressives Regime mit einem Durchgeknallten, den sie obendrein noch „Führer“ nennen!

Ich fahre. Und ich freue mich auf Nordkorea, eben weil das Land so bizarr wirkt. Aber ich lasse meinen Mac zuhause. Denn den, so höre ich, würden sie untersuchen. Auch mein iPhone nehme ich schweren Herzens nicht mit auf die Reise. Denn Handys, hieß es, würden sie uns am Flughafen abnehmen. So fliege ich nach Peking, wo sich eine Delegation um den CSU-Bundestagsabgeordneten Hartmut Koschyk zum gemeinsamen Weiterflug nach Pjöngjang trifft.

„Keine Fotos!“

Nordkorea also. Die Tupolew-204 ist noch nicht gelandet, als das Land schon meine Klischees bestätigt. „No pictures“, ermahnt mich die Stewardess der staatlichen Fluggesellschaft „Air Koryo“, als ich Pjöngjang mit dem iPad aus dem Anflug fotografiere. Dabei fallen mir zwei Dinge ins Auge: Die Stadt zählt unheimlich viele Hochhäuser, aber keine hässlichen Betonburgen der Armen wie in Bangladesch, sondern solche wie in China, deren sauber verkleidete Fassaden in der Sonne glänzen. Einen derart gepflegten Eindruck hätte ich nicht erwartet von einem Land, dessen Bruttoinlandsprodukt pro Kopf bei nur 720 Dollar liegt. Aber mal abwarten, wie es am Boden aussieht.

Je näher die Maschine der Erde kommt, desto mehr fällt mir auf: Es sind unheimlich viele Menschen unterwegs. Dutzende, Hunderte, Tausende säumen allein die Felder rings um die Landebahn. Nie habe ich je so viele Leute auf einem Flughafengelände gesehen. Und alle tragen Tarnfarben. Es sind Militärangehörige, die mit langen Scheren den Rasen zwischen Runway und Flughafengebäude stutzen.

Kerosindunst über Kohlrabi

Links neben der Landebahn bewässern sie Äcker, auf denen Kohlrüben wachsen. Später lerne ich: Seit einer großen Hungersnot, die Mitte der neunziger Jahre bis zu einer Million Menschen dahingerafft hat, nutzen die Nordkoreaner jeden Zentimeter des Landes für den Lebensmittelanbau – selbst, wenn sich zweimal täglich der Kerosin-Dunst der startenden Flugzeuge über den Kohlrabi niedergeht.

Im Gleichschritt treten zehn Soldaten an, um unser Gepäck aus dem Flugzeug zu laden. Als ich ein Foto machen will, pfeift ein Polizist aus der Ferne mit der Trillerpfeife. Doch er greift nicht ein. Das Fotografier-Verbot, so werde ich bald feststellen, legen sie offenbar nicht mehr so strikt aus wie noch vor ein paar Jahren. Oder wir genießen als offizielle Delegation einfach Narrenfreiheit. Das gilt auch für die Handys: Ein Zöllner lässt sich zwar Reisepass und Mobiltelefon geben, um etwas in einem gebundenen Buch zu notieren. Danach händigt er die Geräte aber sofort wieder aus. Mist, denke ich, hätte ich mein iPhone doch mitnehmen können.

In Pjöngjang selbst sind erstaunlich viele Menschen auf den Straßen. Was hatte ich erwartet? Dass das alles Stubenhocker sind, weil draußen Diktatur ist? Dass alle traurig drein schauen, weil es keine Coca-Cola gibt? Irgendwie denken wir so im Westen: Es fällt uns notorisch schwer, uns den Alltag in autoritären bis totalitären Regimen positiv vorzustellen. Dabei lächeln die Menschen auch in Nordkorea. Sie gehen mit den Kindern in den Zoo und besuchen Vergnügungsparks, elegante junge Frauen tragen schmucke Sonnenschirme vor sich her. Es wird ein paar Tage dauern, bis wir durch Zufall die hässliche Fratze dieses repressiven Regimes zu sehen bekommen.

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Teil 2) Eine Zeitreise in die DDR

Im zweiten Teil seines Reiseberichts kommt es zur Begegnung mit Politikern, dem Parlament und Arbeitern auf dem Feld.

Es ist schon erstaunlich, wie gut man auf Stroh schläft. Als ich gestern Abend das Stroh im Kissen meines Hotelbetts rascheln hörte, dachte ich: So schläfst du nie ein. Zumal ich da in Gedanken noch bei den Wanzen war, die irgendwo sein müssen. Bilderrahmen und Rauchmelder hatte ich bereits gründlich inspiziert – bis mich schließlich der Jetlag ins Bett warf und im Hotel „Koryo“ wunderbar ausschlafen ließ.

Es ist Freitagmorgen, der erste Höflichkeitsbesuch steht an. In der Obersten Volksversammlung empfängt uns Ri Jong Hyok, der Vorsitzende der koreanisch-deutschen Parlamentariergruppe und damit der offizielle Gegenüber von Hartmut Koschyk, der die Gruppe im Bundestag leitet. Lotusblumen trennen die Vertreter zweier völlig konträrer politischer System voneinander, drei pinkfarbene Grazien servieren Tee. Koschyk, ein jovialer Franke aus Bayreuth, bereist seit 2002 die Diktatur im Norden Koreas. Er sieht sich als „ehrlichen Ratgeber“ und hofft, mit vielen Gesprächen in Nord- wie Südkorea wenigstens ein bisschen zur Verständigung der beiden zerstrittenen Staaten beizutragen.

Wie weit dieser Weg ist, ahne ich nach wenigen Sätzen. Der Abgeordnete fabuliert von Wahlen und unabhängigen Parteien; ökonomisch habe man unter dem „respektierten Marschall Kim Jong-un große Fortschritte gemacht und neulich sogar eine Nanotechnologiebehörde gegründet. Das klingt geradezu bizarr, wenn man weiß, dass mindestens 40 Prozent der Nordkoreaner akut Hunger leiden.

Später merkt Ri Jong Hyok aber auch an: „Um den Produktionswillen der Bauern zu steigern, haben wir einen Wandel in Landwirtschaft und Fischerei herbeigeführt.“ Damit meint er, dass die Farmer nicht mehr jedes Korn nach Plan abliefern müssen, sondern bei Plan-Übererfüllung ihre Güter am Markt verkaufen können. Das, so verstehe ich später, sind erste Trippelschritte von der Plan- zur Marktwirtschaft.

Im Parlament fühle ich mich, als hätte uns eine Zeitmaschine in die Vergangenheit katapultiert, und zwar nach Ostberlin: Die altmodisch-grünen Sessel im großen Saal stammen dem Design nach aus frühen DDR-Zeiten; vielleicht ein Geschenk von Erich Honecker. Die klobigen Dinger sind bequem und ich verstehe sofort, wie darin ein Minister der Müdigkeit buchstäblich zum Opfer fallen kann. Und das, obwohl durchs Fenster des Gebäudes die Propagandalieder der Straße hallen.

Öffnung und Abrüstung?

In Nordkorea ist der real existierende Sozialismus noch intakt. Das bemerke ich, als wir wenig später zu einer Landpartie aufbrechen. In zwei Limousinen und einem mäßig gefederten Kleinbus geht es quer durchs Land bis ans Japanische Meer. Die Fahrt führt vorbei an endlosen Reisfeldern, an deren Rändern rote Fahnen im Wind flattern.

Jede Flagge markiert eine Brigade, deren Angehörige gerade mit der Reisaussaat beschäftigt sind. An manchen Feldern beschallen Kleinbusse die Bauern mit einem der acht gängigen Propaganda-Lieder; die vier Lautsprecher auf den Dächern weisen in alle Himmelsrichtungen.

Es ist unmöglich, mit den Werktätigen ins Gespräch zu kommen. Jeder weiß, dass man mit einem Ausländer besser nicht gesehen wird. Zudem spricht keiner von ihnen eine andere Sprache als koreanisch – und selbst dies hat sich nach Jahren der Isolation so sehr in einen nordkoreanischen Dialekt verwandet, dass selbst Südkoreaner manche Menschen im Norden nicht mehr verstehen können.

Die Menschen hier leben in einer eigenen Welt, in der die verstorbenen „großen Führer“ Kim il-Sung und Kim Jong-il wie Götter verehrt werden. Ihr Nachfolger Kim Jong-un muss erst noch lernen, in den großen Fußstapfen seiner Überväter zu laufen.

Viel offener ist das Regime seither unterm Strich nicht geworden. Trotzdem glaubt Koschyk weiter an seine Mission. Er will die Nordkoreaner zu Öffnung und Abrüstung überzeugen – indem er nimmermüde persönliche Kontakte pflegt, sowie wirtschaftliche Kooperation hochhält: „Wir müssen immer und immer wieder zeigen, dass ihnen der Westen nichts Böses will“, sagt er. Das hat er auch in Hungnam vor, wo einige Unternehmen zu DDR-Zeiten eine enge Wirtschaftskooperation mit deutschen Industriebetrieben hatten.

Vor allem regiert dort ein Gouverneur, der als relativ offen für internationale Kooperation sein soll. Vielleicht öffnet sich das Land der Welt ja doch? Zumindest ein klein wenig? Wir werden sehen.

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Teil 3) Besuch bei den ersten Liberalen

Duschen ist nicht. Im Sanatorium, das direkt an Nordkoreas Küste am Japanischen Meer liegt, drehen sie nur nachmittags von vier bis fünf das Wasser auf. Eine junge Frau hat da freundlicherweise die Badewanne volllaufen lassen – und das Wasser könnten wir mit einem Tauchsieder erwärmen. Das Gerät weckt aber zu wenig Vertrauen, um es mit Strom und Wasser zugleich in Berührung zu bringen. Und in der Wanne schwimmen Metallpartikel. Heute also etwas mehr Deo. Gut, dass der eine oder andere des Nachts noch im Pazifik baden war.

Trotzdem ist dies ein guter Tag. Das konnten wir gestern beim Abendessen schon spüren. Da erzählte uns der Gouverneur der Provinz Hamgyong-namdo, wie offen er sei für wirtschaftliche Kooperation mit dem Ausland. Irgendwie war das glaubhaft. Zumal sie hier Erfahrung haben mit internationalen Kontakten: Bis in die achtziger Jahre gab es regen Austausch zwischen den hiesigen Betrieben und jenen der DDR. Darum sprechen einige Nordkoreaner in dieser Region passables Deutsch, während sie selbst in Pjöngjang nicht einmal Englisch beherrschen.

Vielleicht ist die DDR-Nostalgie der Grund, weshalb sie uns den roten Teppich ausrollen. Jedenfalls überrascht uns die Offenheit der Staatsmanager in der Region. Im Düngemittel-Kombinat erzählt uns Werksdirektor Kong Sunil frank und frei, wie dringend er sein Werk modernisieren müsste. Die Schwefel-Abgase würden den internationalen Grenzwert ums Doppelte überschreiten. Ein Entgaser solle bis Ende des Jahres kommen, aber wegen der Sanktionen sei der Einkauf nicht ganz leicht. Mangels Ersatzteilen könne er seine Dünger-Fabrik ohnehin nur zur Hälfte auslasten – obwohl in Nordkorea genug Kohle vorhanden ist.

Wir hätten erwartet, dass die Manager von den Vorzügen der Planwirtschaft fabulieren. Oder mit Stolz verkünden, um wie viel Prozent die wackeren Arbeiter ihren Plan übererfüllen. Darauf ließen auch die Propagandaplakate schließen, die an jeder Ecke des riesigen Fabrikgeländes kleben und den schönen Schein wahren lassen: „Es lebe die Geschlossenheit zwischen dem Führer, der Partei und dem Volk“, steht in Stein gemeißelt“, steht darauf zu lesen.

Regeln der Marktwirtschaft

Doch dieses Kombinat managt ein Nordkoreaner, der die Regeln der Marktwirtschaft aus dem Effeff zu kennen scheint. Er will die technologische Abhängigkeit von China reduzieren – denn die liefern seine Ersatzteile nicht zuverlässig. Gern würde Kong Sunil deutsche Technologien von Siemens einführen: „Ich habe diese modernen Anlagen in China mit eigenen Augen gesehen“, schwärmt er.

Auf direktem Wege wäre das schwierig. UN-Resolution 1718 untersagt die Lieferung so genannter „dual use“-Güter, die neben zivilen Zwecken auch für den Bau von Massenvernichtungswaffen dienen könnten. Was darunter fällt, ist Definitionssache, aber Chemieanlagen kämen dem schon sehr nahe. „Offiziell wollen uns Lieferanten oft keine Ware verkaufen, also müssen wir die Vorprodukte heimlich einführen“, sagt Ri Myong Hak, Direktor des örtlichen Chemiekombinats.

Seine Farben, sagt der Chemie-Manager, seien qualitativ gut und am Weltmarkt durchaus konkurrenzfähig. Aber die Sanktionen bereiten ihm Wettbewerbsnachteile: „Die Preise fallen in der Folge höher aus als auf dem Weltmarkt und wir müssen unsere Ware selbst teurer verkaufen.“ Zudem könne er viele Anlagen nicht mehr betreiben, weil die Grundstoffe fehlen, so der Staatsmanager, der wie sein Kollege von der nahen Düngerfabrik als Abgeordneter in der Volksversammlung sitzt.

Am Ende des Tages sind wir uns einig: In der Wirtschaft Nordkoreas gibt es sie, die Liberalen. Sie hoffen auf eine Öffnung des Landes, auf mehr Austausch mit dem Westen, auf Investitionen. Die sollen in die Sonderwirtschaftszone fließen, von der der Gouverneur berichtet hat – bislang ein Feld am Flussufer, wo Bauern ihre Kohlrüben anbauen.

Doch bis dort ausländische Unternehmen siedeln, muss sich in Nordkorea noch viel verändern. Denn das Land, so lernen wir langsam, ist tief gespalten zwischen (Selbst)-Isolation und Öffnung, zwischen Plan- und Marktwirtschaft, wobei Elemente beider Extreme stets koexistieren. Zu diesem Zeitpunkt weiß noch niemand, dass wir nach einem Tag des Optimismus im Kreise nordkoreanischer Liberaler am Sonntag die hässliche Fratze dieses totalitären Regimes zu sehen bekommen werden.

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Teil 4) Kriegshetze in der Kirche

All den bösen Buben hat er wieder die Hand gereicht! Ihnen seinen ehrlichen Rat geboten ob der verfahrenen politischen Lage, stolz hat er auf deutsche Hilfe in der Forstwirtschaft verwiesen, mit wirtschaftlicher Kooperation gelockt. Nett sind sie in Nordkorea gewesen zu Hartmut Koschyk, dem CSU-Abgeordneten auf Spezialmission im Reich des Bösen. Und er zu ihnen – bis zu jenem Moment, da ihm das totalitäre Regime doch wieder seine hässliche Fratze zeigt. Und das vor den Augen des Herrn!

Der Eklat geschieht beim Kirchgang. Es ist Sonntagfrüh, der vorletzte Tag hat für die deutsche Delegation ohne Kater begonnen. Ein Mönch aus Bayern gestaltet die katholische Andacht zusammen mit einem lokalen Priester. Freilich wussten wir, dass die Kirche hier der Partei der Arbeit hörig ist – aber mit dieser Hasstirade hatte niemand gerechnet. Zum „heiligen Krieg“ gegen Südkorea ruft der koreanische Prediger auf, im Zweifel müsse man mit Atomwaffen gegen Satan in Gestalt der US-Imperialisten und ihrer Handlanger in Seoul vorgehen. Der Dolmetscher übersetzt trocken, ein Delegierter weint leise, Abbruch! Aber der deutsche Pater hört sie nicht und predigt seinen Part weiter.

Es ist der Tiefpunkt der Reise für Katholik Koschyk: „Ich hätte nie geglaubt, dass sie unsere religiösen Gefühle für ihre primitive Ideologie ausnutzen würden“, sagt er. Dabei kennt er Nordkorea seit seinem ersten Besuch im Jahr 2002 genau so: Immer tritt einem jemand in den Magen, wenn das Bauchgefühl ein Signal der Öffnung wahrnimmt – denn die gibt durchaus auch, selbst in diesen Tagen akuter Kriegsgefahr und ideologischer Hetze.

Vermutlich hat irgendein Hardliner hinter den Kulissen der deutschen Delegation zeigen wollen, dass die Kirche in Nordkorea ein ideologisches Instrument ist. Und so auch demonstriert, wie mächtig die Kriegstreiber in der Partei der Arbeit offenbar noch sind. Nordkorea bleibt seltsam gespalten zwischen Öffnung und Isolation. Und an diesem Morgen entsteht der Eindruck, dass das Land eher unter der Knute der Hardliner steht und nicht jener Liberalen, die wir am Tag zuvor bei einem Besuch in zwei Industriebetrieben getroffen hatten.

Aber auch an diesem Sonntag gibt es Lichtblicke. Der erste zeigt sich, als wir kurz nach dem Skandal bei den Katholiken die evangelische Kirche besuchen. Dort verliert niemand ein Wort des Hasses, im Gegenteil erzählen sie von einem konstruktiven Austausch mit den Lutheranern im Süden Koreas. Ein zweiter Lichtblick ist, dass sie in Nordkorea ein Projekt zur Behindertenhilfe nicht nur dulden, sondern aktiv fördern. Der deutsche Kaufmann Robert Grund betreibt in Pjöngjang eine Schule für Taubstumme, in der er zusammen mit seinem Bruder Marco gut zwei Dutzend Nordkoreaner unterrichtet – und so in ein halbwegs normales Leben zurückführt. „Jetzt wollen wir eine zweite Schule in Hungnam einrichten“, schreibt Grund auf eine Schreibtafel, denn er ist selbst Taubstumm und legt bei der Behindertenarbeit ein enormes Engagement zutage.

Unser Chefreporter hatte die seltene Gelegenheit, Nordkorea zu besuchen. Im zweiten Teil seines Reiseberichts kommt es zur Begegnung mit Politikern, dem Parlament und Arbeitern auf dem Feld.

Das Engagement ist umso erstaunlicher, als dass es kaum jemand länger in Nordkorea aushält. Es fehlt an Bars, es gibt für Ausländer kein Kino, kein Theater, kein Shoppingcenter. Das Leben im Land mag für die Nordkoreaner besser werden, doch Ausländer müssen sich zu Tode langweilen. Und so leben lediglich 15 Deutsche permanent in Nordkorea, darunter vier Diplomaten.

Einer, der häufig nach Pjöngjang kommt, ist Bernhard Seliger. Er leitet die CSU-nahe Hanns-Seidel-Stiftung in Südkoreas Hauptstadt Seoul und dehnt seine Arbeit immer mehr auf den Norden aus. Aktuell hilft er bei der Qualifizierung von Fachkräften in der Forstwirtschaft, die in einem Lehrwald des Umweltministeriums südlich von Pjöngjang tätig sind. Sie beschäftigen sich dort mit nachhaltiger Aufforstung, denn Nordkorea hat ein Problem: Die Einwohner haben über Jahre zu viele Bäume gefällt, sodass es jetzt zu Bodenerosion und Überschwemmungen kommt. Seliger bringt die Fachleute aus dem Norden gezielt mit jenen aus dem Süden zusammen – und weiß zu berichten: Wenn es um Expertenthemen geht, kommen sie wunderbar miteinander aus.

Genau so stellt sich CSU-Mann Koschyk seine Mission vor: Koreaner aus Nord und Süd auf der Mirko-Ebene zusammenbringen, damit sie ihre Vorurteile gegenüber den anderen abbauen. Die Kooperation mit dem Ausland forcieren, damit sie an ihrem Feindbild arbeiten. „Die Nordkoreaner sehen sich gern als Opfer eines imperialistischen Westens“, weiß der Abgeordnete aus Bayreuth, „aber sie müssen irgendwann erkennen, dass ihnen der Westen nichts Böses will.“ Davon, das weiß er nicht er seit dem Vorfall in der Kirche, ist Nordkorea im Moment noch weit entfernt.

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Teil 5) Freiheit bleibt ein Fremdwort

In Nordkorea, das ist jetzt sicher keine Überraschung, läuft die Anbahnung von Geschäften ein bisschen anders ab als zuhause in Deutschland oder selbst in China. Trotzdem hat diese Situation fast etwas tragikomisches: Der Treffpunkt ist ein muffiges Konferenzzimmer im Ausländer-Hotel „Koryo“, wir sitzen in mintfarbenen Polstersesseln. Auf der einen Seite die zwölfköpfige deutsche Delegation um den Bundestagsabgeordneten Hartmut Koschyk (CSU) – und gegenüber ein nordkoreanischer Abgeordneter mit drei Landsleuten im Rücken, von denen sich keiner vorstellt.

Am Anfang noch selbstbewusst und entschieden, kommt der Nordkoreaner sofort auf den Punkt: In seinem Land hätten drei chinesische Unternehmen lokale Anlagen zur Herstellung von Solarzellen eingerichtet. „Jetzt sind wir der Meinung, dass wir gern auch eine deutsche Investition im Bereich der Photovoltaik hätten.“ Es braucht ein paar Sekunden, bis sich der überraschte Abgeordnete gefangen hat – dann holt er aus zu einer Lektion wie in der Schule: „Sie müssen wissen, dass sich eine Investition für einen Investor aus Deutschland auch lohnen muss“, beginnt Koschyk, daher benötige man gesicherte Rahmenbedingungen. Hierbei stehe Nordkorea in einem Wettbewerb mit China oder Vietnam.

Je länger die Lehrstunde des Deutschen in Sachen Investitionsklima dauert, desto tiefer versinkt der Nordkoreaner in seinem Sessel. Sein Blick wirkt plötzlich trüb, die Zähne beißt er zusammen. Es kann in diesem Land durchaus sein, dass einer der namenlosen Begleiter vom Geheimdienst ist, dass ihm irgendwer der ganz Mächtigen mit klaren Erwartungen in dieses Gespräch geschickt hat. Schließlich holt der Abgeordnete zu einem letzten Schlag aus und spricht den Deutschen direkt an: „Ich möchte Sie einfach bitten, dass Sie Ihren Einfluss nutzen und eine deutsche Fabrik von Solar-Paneelen in unserem Land ansiedeln.“

Scheinbar keine Beschattung von Ausländern mehr

In diesem Moment zeigt sich, wie weit das Verständnis von Wirtschaft in Nordkorea von jenem in den Marktwirtschaften im Rest der Welt entfernt ist. Manch einer im Land mag die Notwendigkeit von Investitionen erkannt haben, darunter sicher auch jener Abgeordneter. Freiheit, Wettbewerb, Stimuli für Investitionen – all dies sind selbst für die „Liberalen“ im Land weiterhin Fremdwörter.

Trotzdem, gar so düstern diktatorisch wirkt Nordkorea nicht. Es scheint auch keine permanente Beschattung der Ausländer mehr zu geben – oder sie läuft so subtil, dass die das nicht merken. Gut möglich, dass die Männer in brauen Arbeiter-Anzügen ohne Hemd, die in jeder Straße im Stehen telefonieren, einzig zum Beobachten der Fremden abgestellt sind. Eigentlich dürfen die nicht einmal den Bahnhof betreten. Als es zwei mit Kamera trotzdem versuchen, führt eine uniformierte Frau sie durch die Nebentür in den Wartesaal und bittet freundlich, keine Fotos zu machen. Koschyk indes, selbst Hobbyfotograf, wird nach kurzer Zeit immer mutiger und lichtet selbst Soldaten ab – wohl wissend, dass das streng verboten ist und schon zu Verhaftungen geführt hat.

Oder weiß etwa wirklich in diesem Land jeder, was das für Ausländer sind? Bekommt die deutsche Delegation hier etwa eine Sonderbehandlung? Wir wissen aus Gesprächen mit den Kennern dieses Landes, dass es im Norden Straflager mit mehreren Zehntausend politischen Häftlingen gibt. Wir haben erfahren, dass die Nordkoreaner selbst ihren Wohnbezirk nur mit Genehmigung verlassen dürfen – und die wenigstens jemals ihre Stadt oder ihr Dorf verlassen haben.

Nach fünf Tagen in Nordkorea also bleiben vor allem Widersprüche: Einerseits kommt Nordkorea nicht als totaler Überwachungsstaat daher, andererseits steht man irgendwie doch unter Aufsicht. Einerseits wirkt das Land freundlicher, andererseits sind die Menschen hier bloß nichts anderes als Unfreiheit gewohnt. Einerseits treten Elemente der Marktwirtschaft auf den Plan, andererseits ist der Sozialismus im Land noch völlig intakt. Einerseits gibt es Eliten mit dem Wunsch der Öffnung des Landes, andererseits haben die Hardliner aus Militär und Sicherheitsdiensten im Moment eher das Sagen als jene „Liberalen“. Wohin sich Nordkorea eines Tages entwickeln wird – wir wissen es nicht. Aber es tut Not, sich mit diesem Land und seiner Ambivalenz genauer zu beschäftigen.

Im Rahmen der Delegationsreise besuchte Koschyk gemeinsam mir den Delegationsteilnehmern auch das Industrieentwicklungsgebiet Hungnam. In der aktuellen Ausgabe der WirtschaftsWoche 25/2015 verfasste Chefreporter Willershausen einen Bericht wo in Nordkorea Chancen für deutsche Investoren liegen. Zur Digitalen Ausgabe der Wirtschaftswoche mit dem Artikel gelangen Sie hier.

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