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Grußwort von Bundesbeauftragten Koschyk zum Symposium „Die Traumata der Kinder der Vertreibung“ der Zentralstelle Grafschaft Glatz / Schlesien e.V. und des Heimat- und Verkehrsvereins Ankum e.V.
4. Juni 2016
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Grußwort
des Beauftragten der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten
Hartmut Koschyk MdB
zum Symposium „Die Traumata der Kinder der Vertreibung“
der Zentralstelle Grafschaft Glatz / Schlesien e.V. und des Heimat- und Verkehrsvereins Ankum e.V.
am 4. Juni 2016 in Ankum / Landkreis Osnabrück

Den Teilnehmern des Symposiums „Die Traumata der Kinder der Vertreibung“ übermittle ich ganz herzlich die Grüße und die guten Wünsche der Bundesregierung. Ich bedaure sehr, dass ich nicht persönlich bei Ihrer Veranstaltung dabei sein kann, aber andere, seit langem terminierte auswärtige Verpflichtungen lassen meine Teilnahme leider nicht zu. Ich verbinde diese guten Wünsche mit meinem herzlichen Dank an die Veranstalter, die Zentralstelle der Grafschaft Glatz / Schlesien e.V. mit ihrem tatkräftigen Vorsitzenden Peter Großpietsch. Auch dem Heimat- und Verkehrsverein Ankum e.V. möchte ich meine besondere Anerkennung ausdrücken, weil die Erinnerung an die oft leidvolle Geschichte der Deutschen aus den früheren Ostgebieten Deutschlands und aus den Siedlungsgebieten in Mittel-, Ost- und Südosteuropa ebenso wie in den Nachfolgestaaten der früheren Sowjetunion sowie der Erhalt und die Pflege ihres kulturellen Erbes nicht nur eine Angelegenheit der Vertriebenen und Aussiedler ist, sondern vielmehr eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Hier in Ankum wird sich dieser Aufgabe gestellt und das verdient Anerkennung!

Wenn die Organisatoren der Veranstaltung dieses Jahr die Traumata der Kinder der Vertreibung zum Thema des Symposiums gemacht haben, war dieses eine gleichermaßen gute wie mutige Entscheidung. Das Gesamtprogramm, dem sich am morgigen Tag ein Pontifikalamt mit Herrn Weihbischof em. Gerhard Pieschl und eine Gedenkfeier anschließt, schließt jeden Verdacht aus, es könnte um das gegenseitige Anrechnen von Schuld gehen. Aber bei nicht wenigen Teilnehmern werden alte Wunden wieder aufgerissen. Zu lange war nach dem Krieg in Westdeutschland die Erinnerung an Schrecken und Gewalt verdrängt worden, so dass sich bei vielen die Traumata immer weiter in die Seele fraßen. Noch schlimmer war die Situation für die Betroffenen in Mitteldeutschland, wo unter dem SED-Regime jede Form der Erinnerung an das eigene Leid sehr nachdrücklich unterbunden wurde.

Dieses hat schlimme Folgen bis heute und über die Generation der unmittelbar Betroffenen hinaus. Unter Psychologen herrscht heute weitgehender Konsens dar-über, dass Traumata auch über die Generationen, vor allem von Eltern auf ihre Kinder, weitergegeben werden können. Den Betroffenen stand in den ersten Jahr-zehnten nach Kriegsende auch keine professionelle psychologische Unterstützung zur Seite, wie wir sie heute kennen.

Für die Betroffenen und für uns alle ist Erinnerung notwendig. Echte Erinnerung richtet sich gegen niemanden. Im Gegenteil: Der große französische Politikwissenschaftler und Publizist Alfred Grosser, der als jüdischer Mitbürger 1938 aus Deutschland emigrieren musste, hat das „Verständnis für das Leid des Anderen“ als einen der wesentlichen Grundwerte für Europa bezeichnet. In diesem Sinne wer-den wir auch am 20. Juni bereits zum zweiten Mal den vom Bundeskabinett 2014 beschlossenen nationalen „Gedenktag für die Opfer von Flucht und Vertreibung“ begehen. Mit dem Datum knüpft die Bundesregierung an den Weltflüchtlingstag der Vereinten Nationen an und erweitert das Flüchtlingsgedenken um das Schicksal der Opfer von Flucht, Vertreibung und Deportation. Das ist ein bedeutendes Zeichen der Verbundenheit mit den Deutschen, die als Flüchtlinge, Vertriebene und Deportierte ihre Heimat verlassen mussten, und ein weiterer wichtiger Schritt zur gesellschaftlichen Anerkennung ihres Schicksals. Ich freue mich sehr, dass dieses Jahr der emeritierte Erzbischof von Freiburg, Dr. Robert Zollitsch, der als Sechsjähriger in Titos Vernichtungslager deportiert und später vertrieben wurde, die Hauptrede halten wird.

Bundesinnenminister Dr. Thomas de Maizière hat hier eine sehr gute Wahl getroffen. Ich erinnere mich gut an die Gedenkfeier anlässlich der Deportation von Donauschwaben in die UdSSR im letzten Jahr, als Erzbischof Dr. Zollitsch uns in sein persönliches Erleben mit hineinnahm: „Im Dezember des zu Ende gegangenen Jahres fragte mich ein Reporter des ‚Mannheimer Morgen‘, wie ich als Schüler Weihnachten gefeiert habe. Ich war froh, dass er mich nicht fragte, wie ich als Kind Weihnachten gefeiert hatte. Die Antwort darauf wäre mir schwer gefallen. Denn in der vergangenen Weihnacht gingen meine Gedanken immer wieder siebzig Jahre zurück an das ‚Weihnachtsfest 1944‘, das zweifellos das schlimmste in meinem Leben war.“ Erzbischof Dr. Zollitsch beklagt zwar auch die Verdrängung der Erinnerung, klagt aber nicht an und gesteht ein: „Auch ich habe sechzig Jahre gebraucht, bis ich – danach gefragt – über meine eigene Deportation als Sechseinhalbjähriger ins Vernichtungslager Gakowa in der Öffentlichkeit gesprochen habe.“

Wenn heute bei diesem Symposium der Empathie für die Traumata der Kinder der Vertreibung neue Räume geöffnet werden und dieses hilft, mit dem Erlebten fortan besser zu leben, so wird schon viel geschaffen worden sein. Noch einmal herzlichen Dank an die Initiatoren und Veranstalter. Dem Symposium und dem morgigen Gedenken wünsche ich einen guten Verlauf.

Zur Internetseite des „Grafschafter Boten“ mit weiterführenden Informationen gelangen Sie hier.

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