Der Präsident des Bundes der Vertriebenen, Dr. Bernd Fabritius, der für die nationalen Minderheiten zuständigen Minister für Humanressourcen, Zoltán Balog, Bundesbeauftragter Hartmut Koschyk MdB und der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán bei der feierlichen Kranzniederlegung auf dem „Alten Friedhof“ in Wudersch / Budaörs , wo sich die Landesgedenkstätte zur Vertreibung der Ungarndeutschen befindet
In der ungarischen Stadt Wudersch / Budaörs fand am 19. Januar die zentrale Gedenkfeier zur Erinnerung an die Vertreibung, Deportation und Zwangsarbeit der Ungarndeutschen statt. Im Dezember 2012 hatte das ungarische Parlament, die Nationalversammlung, einstimmig beschlossen, den 19. Januar zum jährlichen nationalen Gedenktag für die Vertreibung und Verschleppung der Ungarndeutschen zu erklären.
Feierliche Kranzniederlegung im Rahmen der zentralen Gedenkfeier der ungarische Regierung in Wudersch / Budaörs
Im Anschluss an eine feierliche Kranzniederlegung auf dem „Alten Friedhof“, wo sich die Landesgedenkstätte zur Vertreibung der Ungarndeutschen befindet und eine Heilige Messe in der katholischen Kirche in Wudersch / Budaörs, haben der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán, der Beauftragte der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten, Hartmut Koschyk MdB sowie der Vorsitzende der Landesselbstverwaltung der Ungarndeutschen, Ottó Heinek, die Gedenkreden gehalten. An der Gedenkfeier nahm auch der Präsident des Bundes der Vertriebenen, Bernd Fabritius MdB, teil.
Die Katholische Kirche von Wudersch/Budaörs, in der die diesjährige zentrale Gedenkfeier der ungarische Regierung anlässlich des alljährlich am 19. Januar begangenen nationalen Gedenktages zur Erinnerung an die Vertreibung und Deportation der Ungarndeutschen stattfand
Der Beauftragte der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten, Hartmut Koschyk MdB, würdigte die Minderheitenpolitik Ungarns. Der heutige Gedenktag verdeutliche, wie man mit schwierigen Kapiteln der Geschichte verantwortungsvoll umgeht. Er stehe „für den vorbildlichen Umgang Ungarns mit dem Schicksal von Flucht und Vertreibung“. Dieser habe bereits 1990 begonnen, als das ungarische Parlament die Vertreibung der Ungarndeutschen nach den Zweiten Weltkrieg ehrlich bedauerte und am 10. Dezember 2012 in der historischen Beschlussfassung der ungarischen Nationalversammlung mündete, den 19. Januar zum jährlichen nationalen Gedenktag für die Opfer der Vertreibung zu erklären, so Bundesbeauftragter Koschyk.
In Deutschland werde hingegen am 20. Juni dieses Jahres bereits zum zweiten Mal der „Gedenktag für die Opfer von Flucht und Vertreibung“ begonnen. Mit dem Datum knüpft die Bundesregierung an den Weltflüchtlingstag der Vereinten Nationen an und erweitert das Flüchtlingsgedenken um das Schicksal der Heimatvertriebenen. Dies sei ein bedeutendes Zeichen der Verbundenheit mit den deutschen Opfern von Flucht, Vertreibung und Deportation, die von Bundespräsident Joachim Gauck durch seine persönliche Teilnahme am Gedenktag im vergangen Jahr und seine sehr einfühlsame Ansprache eindrucksvoll unterstrichen wurde, so Bundesbeauftragter Koschyk.
Für die freundschaftlichen deutsch-ungarischen Beziehungen hätten die Angehörigen der deutschen Minderheit in Ungarn, eine ganz besondere Bedeutung. Die zahlreichen „offenen und zum Teil auch sehr persönlichen Gespräche sowie viele erfolgreiche Kultur- und Begegnungsveranstaltungen“ bei seinen Besuchen in Ungarn hätten ihm „den hohen Wert der Brückenfunktion“ verdeutlicht, „die von der deutschen Minderheit in Ungarn und den ungarndeutschen Landsmannschaften in Deutschland zwischen unseren beiden Ländern wahrgenommen wird“.
Als Beauftragter der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten könne er nur bekräftigen, dass die erfolgreiche deutsch-ungarische Zusammenarbeit ohne das gegenseitige Verständnis und den gegenseitigen Respekt der deutschen Minderheit in der ungarischen Mehrheitsbevölkerung in dieser Form nicht möglich wäre. Koschyk verwies in diesem Zusammenhang auf die Grundsatzrede von Bundeskanzlerin Angela Merkel zur Vertriebenen-, Aussiedler- und Minderheitenpolitik beim Tag der Heimat im August 2014, wo diese betonte, dass „die Bindung an die deutsche Sprache und die dauerhafte Sicherung ihrer kulturellen Identität für die Angehörigen der deutschen Minderheit von essenzieller Bedeutung“ seien.Bundesbeauftragter Koschyk erklärte, dass die Selbstorganisationen der deutschen Minderheiten in Europa nicht nur eine wichtige Brückenfunktion zu Deutschland haben, sondern diese ihre Zukunft zuerst in der Gesellschaft ihrer jeweiligen Titularnation sehen, in deren wirtschaftliches, gesellschaftliches, kulturelles und politisches Leben sie sich über ihre Dachverbände aktiv einbringen. Die Landesselbstverwaltung der Ungarndeutschen mit Ottó Heinek an der Spitze erfülle diesen Auftrag in vorbildlicher Weise. Mit ihren über 400 lokalen Gliederungen sei die Landesselbstverwaltung „ein hervorragendes Beispiel für die gelungene Integration in das größere Ganze, ohne dass durch Assimilation die kulturellen und sprachlichen Eigenwerte aufgegeben werden.“
Wenn die ungarische Verfassung heute den nationalen Minderheiten über eine bloße Toleranz hinaus ausdrücklich die Rolle von „staatsbildenden Faktoren“ zuschreibt, so zeuge dieses „von einem zeitgemäßen Verständnis von Minderheitenpolitik im europäischen Geist: Die Mehrheitsbevölkerung sieht die Minderheiten nicht nur als Bereicherung an, sie will sich auch von ihr bereichern lassen. Dies ist ein zutiefst europäisches Verständnis von Minderheitenpolitik, für das wir dem ungarischen Volk sehr dankbar sind“, so Bundesbeauftragter Koschyk.
Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán
Ministerpräsident Orbán bezeichnete die Geschehnisse vor 70 Jahren als eine als Aussiedlung getarnte Deportation und erklärte, dass die Leidensgeschichte der Ungarndeutschen uns daran erinnern soll, „dass es das unveräußerliche Recht des Menschen ist, dort zu leben, wo er geboren worden ist, in der Kultur, in dem Land, in der Siedlung, die sein eigenes Zuhause ist. Und uns möge der Herrgott ausreichend Ausdauer und Geduld geben, damit wir Europa verteidigen und erhalten können, und er möge uns genügend Kraft geben, damit wir das Recht darauf, in der eigenen Heimat bleiben zu dürfen, auch außerhalb Europas durchsetzen können“, so Ministerpräsident Orbán.
Die wichtigste tragende Säule der bürgerlichen Welt sei „die Gerechtigkeit“ so Ministerpräsident Orbán. Aus diesem Grunde habe das Parlament im Jahre 2013 beschlossen, dass der 19. Januar der Gedenktag der Verschleppung und der Vertreibung der Ungarndeutschen sei. „Als ein ewiges Memento für die nach Sibirien zur Zwangsarbeit verschleppten fünfundsechzigtausend Menschen und für die zur Aussiedlung verurteilten deutschen Familien“. Das Jubiläum sei aber nicht nur ein Gedenken, „sondern auch ein Aufruf, all das nicht zu vergessen, was die Ungarndeutschen für Ungarn getan haben und bis auf den heutigen Tag tun“, so Ministerpräsident Orbán.
Ministerpräsident Orbán wies darauf hin, dass die ungarische Regierung „die Bewahrung der Identität und der Kultur der in unserer Heimat lebenden deutschen Mitbürger“ unterstützt. So könne man sich seit 2014 im ungarischen Parlament auf Deutsch zu Worte melden und der Sprecher der Deutschen könne in seiner Muttersprache im Parlament reden. „Es erfüllt uns mit Freude, dass in den vergangenen vier Jahren sich die Zahl der deutschen Schulen verfünffacht und die Anzahl der dort lernenden Schüler sich verdreifacht hat. Und wir sind auch darauf stolz, dass sich die Zahl derer, die sich als zur Gemeinschaft der Ungarndeutschen gehörig bekennen, heute schon beinahe Zweihunderttausend erreicht hat“, so Ministerpräsident Orban.
Die Ungarndeutschen könnten auf ein kulturelles Erbe zurückblicken, „deren Fäden tief in das Gewebe der ungarischen Kultur eingeflochten sind. Wenn wir diese Fäden herauszögen, so würde das gesamte Gewebe zerfallen. Die ungarische schwäbische Gemeinschaft stellt einen organischen und unveräußerlichen Bestandteil der ungarischen Kultur dar. Wenn vor siebzig Jahren die Vertriebenen all das mitgenommen hätten, was die Ungarndeutschen oder Menschen deutscher Abstammung seit ihrer Ansiedlung für die ungarische Wirtschaft und Kultur getan hatten, dann wäre Ungarn heute bedeutend ärmer“, so Ministerpräsident Orbán.
„Ehrfurcht den Opfern. Gebührende Erinnerung an die Leidenden. Ein Verneigen vor der Erinnerung an die Unschuldigen. Anerkennung und Ruhm jenen, die den in Not geratenen Ungarndeutschen geholfen hatten.“ Mit diesen Worten beendete Ministerpräsident Orbán seine eindrucksvolle Rede anlässlich der Gedenkfeier in Wudersch / Budaörs.
Der Vorsitzende der Landesselbstverwaltung der Ungarndeutschen, Ottó Heinek (2.v.r.) wies darauf hin, dass unter den 200.000 vertriebenen Ungarndeutschen es nur sehr wenige gegeben habe, die Ungarn nicht als ihre Heimat betrachtet hätten
„Mein Vater war der Meinung, dass wir keine Sünden begangen haben, dass man uns völlig ungerecht ausgesiedelt hat. Und mein Vater war der Meinung, dass wir Ungarn sind und alles, was wir haben, hier ist. Wir gehen nach Hause, weil wir hierher gehören. Er war der Meinung, dass das seine Heimat ist, also kommt er heim.” Mit diesen Worten einer mit 12 Jahren aus Tolnauer Dorf vertriebenen Ungarndeutschen wies der Vorsitzende der Landesselbstverwaltung der Ungarndeutschen, Ottó Heinek, in seiner Gedenkrede einleitend darauf hin, dass unter den 200.000 vertriebenen Ungarndeutschen es nur sehr wenige gegeben habe, die Ungarn nicht als ihre Heimat betrachtet hätten.
Es gebe kaum eine ungarndeutsche Familie, die durch die Vertreibung nicht betroffen wäre und die keine ähnlichen Geschichten hätte, die alle eines gemeinsam haben: „Man versteht nicht, wieso mit ihnen das Land so umgehen konnte, das sie als ihre Heimat betrachtet haben. Wir werden das vielleicht nie verstehen. Es ist aber wichtig, dass wir diese schmerzhaften Geschichten nicht vergessen, dass sie sich als mahnende Zeichen in das Bewusstsein der heutigen und zukünftigen Generationen und in die Erinnerungskultur einprägen“, so Vorsitzender Heinek.
Ohne die Kenntnis und die Bewältigung der Vergangenheit könne „jede Identität nur fragil und unvollständig“ sein. Gleichzeitig könne aber auch „keine Identität nur auf die Vergangenheit und auf das erfahrene Unrecht“ aufgebaut sein, so Vorsitzender Heinek.
Die wichtigste Aufgabe für all diejenigen, die Verantwortung für die Zukunft der Ungarndeutschen tragen, sei alles für die Bewahrung unseres kulturellen Erbes, unserer Muttersprache, zu unternehmen und für „die Stärkung der deutschen und europäischen Elemente unserer Identität und für die Herausbildung eines modernen ungarndeutschen Bildes und Selbstbildes des 21. Jahrhunderts zu arbeiten“, so Vorsitzender Heinek. Man könne „verschiedene Identitäten“ in sich tragen und gleichzeitig deutsche und ungarische und europäische Bürger sein.
Einen Artikel in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zur Gedenkfeier finden Sie hier.
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