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Wissenschaftliche Tagung „65 Jahre Bundesvertriebenengesetz im Kontext europäischer Verständigung“ / Koschyk würdigt Beitrag der Heimatvertriebenen beim Aufbau der jungen Bundesrepublik und bekräftigt nachhaltige Stärkung der Kulturstiftung der Vertriebenen
30. November 2018
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Am 22. Mai 1953 wurde das Bundesvertriebenengesetz (BVFG) im Bundesgesetzblatt verkündet. Es regelte die Verteilung, Rechte und Vergünstigungen von Vertriebenen aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten und anderen Vertreibungsgebieten sowie von Flüchtlingen aus der Sowjetzone in die Bundesrepublik Deutschland. Um den 65. Jahrestag des Gesetzes zu würdigen, veranstaltete die Deutsche Gesellschaft e.V. in Zusammenarbeit mit dem Bund der Vertriebenen (BdV) in der Vertretung des Landes Sachsen-Anhalt beim Bund eine wissenschaftliche Tagung unter dem Motto „65 Jahre Bundesvertriebenengesetz im Kontext europäischer Verständigung“. Gefördert wurde die Tagung vom Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages.

An der Tagung nahmen neben dem stv. Vorsitzenden der Deutschen Gesellschaft und ehemaligen Beauftragten der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten, Hartmut Koschyk, auch der amtierende Bundesbeauftragte und Präsident des Bundes der Vertriebenen (BdV), Dr. Bernd Fabritius, der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister des Innern, für Bau und Heimat und BdV-Vizepräsident, Stefan Mayer MdB, die Leiterin der Gruppe K4 „Geschichte und Erinnerung“ bei der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, Maria Bering, der Geschäftsführer der Kulturstiftung der deutschen Heimatvertriebenen, Dr. Ernst Gierlich, der stellvertretende Direktor des Bundesinstituts für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa, Dr. Dr. Gerald Volkmer, der Direktor des Deutsches Kulturforums östliches Europa, Dr. Harald Roth, die Direktorin der Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung, Dr. Gundula Bavendamm, der Vorsitzende des Verbands der deutschen sozial-kulturellen Gesellschaften in Polen und Sprecher der Arbeitsgemeinschaft deutscher Minderheiten (AGDM) in der FUEN, Bernard Gaida, der Gründungsdirektor der Bundesstiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung und Professor in Regensburg, Prof. Dr. Manfred Kittel und der Bevollmächtigte des Vorstandes der Deutschen Gesellschaft, Dr. Andreas Apelt, teil.

In seinem Grußwort ging der Dienststellenleiter der Vertretung des Landes Sachsen-Anhalt beim Bund, Frank Smeddinck, auf die Bedeutung des Bundesvertriebenengesetztes ein und erinnerte daran, dass nur wenige der Ortsvertriebenen sich konzentriert im Westen niederlassen konnten, so wie es beispielweise den Gablonzern gelang, die sich nordöstlich von Kaufbeuren ansiedelten. Aus dem Hintergrund der Vertreibung und Neuansiedlung heraus wandelte sich der Name des Stadtteiles von Kaufbeuren-Hart zu Neugablonz.

Der stv. Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft und Bundesbeauftragte a.D. Koschyk würdigte in seinem Grußwort den großen Beitrag den die Heimatvertrieben beim Aufbau der jungen Bundesrepublik geleistet haben und dass diese trotz des erlittenen Unrechts und dem Schmerz über den Verlust der angestammten Heimat und des Hab und Guts nicht verbittert und unversöhnlich geworden seien, sondern eine große Geste des Friedens und der Versöhnung ausgesandt hätten, die in der Charta der Heimatvertriebenen von 1950 eindrucksvoll zum Ausdruck komme.

Koschyk erklärte, dass das Bundesvertriebenengesetz immer wieder an die aktuellen Entwicklungen angepasst wurde. Ging es zunächst um eine rasche Eingliederung der Vertriebenen und Flüchtlinge, trat später mehr und mehr die Aufnahme von deutschen Aussiedlern und ihren Angehörigen im damaligen Ostblock in den Vordergrund.

Koschyk bedauerte, dass nach dem Regierungswechsel im Jahr 1998 die finanzielle Förderung für die Kulturarbeit der deutschen Heimatvertriebenen, insbesondere auch im Hinblick auf eine institutionelle Förderung, drastisch gekürzt wurde. „Eine Wiedergutmachung des Subtanzverlustes“ sei bis heute nicht erreicht worden, wenngleich Dank der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, Frau Staatsministerin Prof. Dr. Monika Grütters MdB, wichtige Weichen für einen Kurswechsel gestellt wurden, insbesondere auch dafür, die Kulturarbeit nach § 96 Bundesvertriebenengesetz zu stärken.

So wurde beispielsweise der Vorschlag von Staatsministerin Prof. Grütters zur „Weiterentwicklung der Konzeption zur Erforschung, Bewahrung, Präsentation und Vermittlung der Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa nach § 96 Bundesvertriebenengesetz (BVFG)“, der in enger Abstimmung mit ihm in seiner Funktion als damaliger Beauftragter der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten sowie mit BdV-Präsidenten Bernd Fabritius entstand, im Jahr 2016 vom Deutschen Bundestag beschlossen.

Auch im Koalitionsvertrag von 2017 komme der klare Wille zum Ausdruck, „die nationalen Minderheiten in Deutschland und die deutschen Minderheiten in Dänemark, in Mittelost- und Südosteuropa und den Nachfolgestaaten der Sowjetunion weiter zu fördern“ und „die im Sinne des § 96 des Bundesvertriebenengesetzes tätigen Einrichtungen gemeinsam mit den Heimatvertriebenen, Aussiedlern und deutschen Minderheiten als Träger dieses Erbes sowie im Sinne der europäischen Verständigung für die Zukunft zu ertüchtigen und die Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen zu stärken.“

Diese politischen Leitlinien und damit die kulturelle Breitenarbeit müssten jetzt mit Leben erfüllt werden, so Koschyk. Um die Kulturförderung im Sinne des Koalitionsvertrages weiter zu intensivieren, habe die Staatsministerin für Kultur und Medien, Frau Prof. Grütters, das Gespräch mit der Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen aufgenommen und diese gebeten, ein Förderkonzept mit dem Schwerpunkt der Stärkung der eigenständigen Kulturarbeit der deutschen Heimatvertriebenen zu entwickeln, das sich an der weiterentwickelten Konzeption von 2016 orientiert.

Koschyk: „Als ehemaliger Beauftragter der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten, aber auch als ehemaliger Generalsekretär des Bundes der Vertriebenen, begrüße ich ausdrücklich diese Initiative von Kulturstaatsministerin Prof. Grütters, vor allem die Beauftragung der Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen, ein Förderkonzept zur Stärkung der eigenständigen Kulturarbeit der deutschen Heimatvertriebenen zu erarbeiten. Damit erfolgt endlich wieder eine Aufwertung der in der Vergangenheit stark vernachlässigten Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen. Ein entsprechender Projektantrag der Kulturstiftung mit dem Titel „Durchführung eines Arbeitsprogramms der Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen im Jahre 2019 mit dem Ziel der Entwicklung eines Förderkonzepts mit dem Schwerpunkt der eigenständigen Kulturarbeit der deutschen Heimatvertriebenen“ wurde der Beauftragten für Kultur und Medien mittlerweile zugeleitet. Mit Erarbeitung des genannten Förderkonzepts und mit weiterer Unterstützung von Frau Staatministerin Prof. Grütters, aber auch des Deutschen Bundestages wird die Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen hoffentlich alsbald ihr „Schattendasein“ beenden und wie bis 1998 unter den Bundesregierungen von Helmut Kohl auch wieder institutionell vom Bund und den Ländern gefördert werden.“

Der Beauftragte der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten und Präsident des Bundes der Vertriebenen, Dr. Bernd Fabritius, erklärte, dass der 65. Jahrestag des Bundesvertriebenengesetzes beispielhaft für die Solidarität der Bundesrepublik mit den Heimatvertriebenen und mit den in der angestammten Heimat verbliebenen Deutschen stehe. Damit kam die Bundesrepublik ihrem Auftrag gemäß § 116 Absatz 1 des Grundgesetzes nach, dass „Deutscher im Sinne dieses Grundgesetzes vorbehaltlich anderweitiger gesetzlicher Regelung ist, wer die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt oder als Flüchtling oder Vertriebener deutscher Volkszugehörigkeit oder als dessen Ehegatte oder Abkömmling in dem Gebiete des Deutschen Reiches nach dem Stande vom 31. Dezember 1937 Aufnahme gefunden hat.“ Ging es anfänglich darum, die Herausforderungen im zerstörten Nachkriegsdeutschland zu lösen, wurde das Bundesvertriebenengesetz in den Folgejahren aus einem tiefen Verantwortungsbewusstsein für die Heimatvertriebenen – zuletzt durch die von Koschyk angesprochene Neukonzeption nach § 96 Bundesvertriebenengesetz (BVFG) – sowie für Aussiedler, Spätaussiedler und die in der angestammten Heimat verbliebenen deutschen Minderheiten in Mittel- und Osteuropa ständig angepasst.

Fabritius erinnerte in diesem Zusammenhang u.a. an die Worte des ersten Bundesbeauftragten Horst Waffenschmidt, der 1998 erklärte, „dass auch weiter Aussiedler zu uns kommen dürfen“ und dass das „Tor nach Deutschland offen bleibt“. Im Zusammenhang mit den nach Deutschland kommenden Spätaussiedlern verwies Fabritius auf die Novelle des Bundesvertriebenengesetzes im Jahr 2013, mit der Familienzusammenführungen erleichtert wurden.

Fabritius wies auch darauf hin, dass die Gefährdung der kulturellen Identität der deutschen Minderheiten in Mittel- und Osteuropa und den Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion immer noch Realität sei. Die Bundesregierung stehe in diesem Zusammenhang unverändert zu ihrer Solidaritätsverpflichtung auch die in der angestammten Heimat verbliebenen deutschen Volksgruppen nachhaltig bei der Bewahrung der eigenen kulturellen Identität zu unterstützen.

In einem ersten Themenblock hielt der Gründungsdirektor der Bundesstiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung und Professor an der Universität Regensburg, Prof. Dr. Manfred Kittel, einen Impulsvortrag zum Thema „Umgang mit den Vertriebenen in der frühen Bundesrepublik“.

Entscheidende Weichenstellungen waren Prof. Kittel zufolge die maximale Zerstreuung der Ortsvertriebenen, das bis 1949 bestehende Koalitionsverbot für Flüchtlinge und Vertriebene in den westdeutschen Besatzungszonen, die Entscheidung des Parlamentarischen Rates, keine Flüchtlingswahlkreise zur Wahl des 1. Deutschen Bundestages zu bilden, und der parteipolitische Konsens, dass die Vertreibung nicht als endgültig anzusehen sei.

Die zerstreuten Ansiedlungen der Ortsvertriebenen seien Ausdruck des Willens gewesen, die Heimatvertriebenen in die Gesellschaft „einzuschmelzen“ und kollektive Protestformen zu verhindern, so Prof. Kittel. Bedenkt man den wirtschaftlichen Erfolg, den beispielsweise die „Gablonzer“ in Kaufbeuren erzielten, lasse sich erahnen, was es bedeutet hätte, wenn es viele Hundert solcher Siedlungen gegeben hätte. Das Koalitionsverbot für Flüchtlinge und Vertriebene in den westdeutschen Besatzungszonen hingegen sollte eine soziale Polarisierung aktiv verhindern, stellte aber gleichsam eine „Hypothek“ für die in ihren Anfängen befindliche Demokratie dar, waren die Heimatvertriebenen doch im Parlamentarischen Rat durch fehlende Wahllisten unterrepräsentiert. Die Ablehnung des Parlamentarischen Rats von Flüchtlingswahlkreisen bei der Wahl des 1. Deutschen Bundestages führte schließlich dazu, dass die Heimatvertriebenen wie zu erwarten im Bundestag unterrepräsentiert waren. Nach dem Gesetz von 1951 zur Regelung der Rechtsverhältnisse der unter Artikel 131 des Grundgesetzes fallenden Personen, das die Wiedereingliederung von Beamten einschließlich derer aus den Reihen der Flüchtlinge und Vertriebenen zum Inhalt hatte, stand bei den Beratungen zum Lastenausgleichsgesetz die Frage der Art der Entschädigung der Heimatvertrieben im Vordergrund. Der parteipolitische Konsens, dass die Vertreibung nicht als endgültig anzusehen sei, hatte schließlich entscheidende Auswirkungen auf das Lastenausgleichsgesetz, lieferte es doch erfolgreich Argumentationshilfe gegen eine individuelle quotale finanzielle Entschädigung der Heimatvertriebenen, was insbesondere heimatvertriebene Handwerker und Bauern traf.

Die Frage ob man sich viele Konflikte damit erspart habe, dass die Heimatvertriebenen so wenig kompakt angesiedelt wurden, verneinte BdV-Präsident und Bundesbeauftragter Dr. Fabritius bei der anschließenden Podiumsdiskussion. Auch bei den Spätaussiedlern gebe es heute schließlich keine relevanten Probleme. Im Hinblick auf die Integration der Russlanddeutschen erklärte Dr. Fabritius, dass diese sehr gut gelungen sei. Spätaussiedler dürften nicht gleichgesetzt werden mit Migranten und oftmals anfänglich fehlende Sprachkompetenzen nicht vorgeworfen werden, bedenkt man die Lage der Russlanddeutschen, der diese in der ehemaligen Sowjetunion über Jahrzehnte ausgesetzt waren. Es gebe keinen Anlass, bestehende Regelungen im Hinblick auf die Spätaussiedler aufzuweichen, und man müsse unverändert Verantwortung für das Kriegsfolgeschicksal tragen, so Dr. Fabritius. Der stv. Direktor des Bundesinstituts für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa, Dr. Dr. Gerald Volkmer, erklärte, dass mit der Zerstreuung der Ortstvertriebenen zwar eine „Ghettobildung“ vermieden wurde, diese aber in Form von Neuansiedlungen der Heimatvertriebenen in bestimmten Ortsteilen oftmals dennoch erfolgte. Auch konfessionelle Unterschiede der Neuankömmlinge lösten bei der einheimischen Bevölkerung oftmals die Angst vor einer Überfremdung aus. Prof. Dr. Manfred Kittel verwies auf die erfolgreiche geschlossene Ansiedlung der Ost-Kareliener in Finnland, auch wenn die Vergleichbarkeit mit Deutschland nach dem Krieg nur bedingt gegeben sei.

Im zweiten Themenblock hielt Parlamentarischer Staatssekretär Stefan Mayer MdB, Vizepräsident des Bundes der Vertriebenen, einen Impulsvortrag zum Thema „Vertriebenenpolitik im Wandel: auf dem Weg zur europäischen Verständigung“.

Parl. Staatssekretär Mayer verwies auf die große Aufbauleistung der Heimatvertriebenen, deren Integration in die junge Bundesrepublik eine Erfolgsgeschichte sondergleichen sei. Dies umso mehr, wenn man bedenkt, dass Stalin die Hoffnung hegte, die Heimatvertriebenen könnten sich zum „Spaltpilz“ der jungen Demokratie entwickeln. Stattdessen trugen die Heimatvertriebenen entscheidend zum Wirtschaftswunder bei, worauf man stolz sein könne, so Parl. Staatssekretär Mayer. Das Bundesvertriebenengesetz schuf die Grundlage für eine positive Entwicklung in Deutschland, bei der auch die Aussiedler und Spätaussiedler mit einbezogen wurden. Zwischen 1950 bis 1986 kamen rund 1,3 Millionen Aussiedler nach Deutschland. Im Zuge der Reformpolitik unter Michael Gorbatschow und damit der Bereitschaft, deutsche Volksangehörige aus den Staaten des Warschauer Pakts ausreisen zu lassen, und im Zuge der Deutschen Wiedervereinigung kamen schließlich nach den Bestimmungen des Bundesvertriebenengesetzes rund drei Millionen Menschen im Rahmen der Aussiedleraufnahme in die Bundesrepublik Deutschland. Das Bundesvertriebenengesetz sei Ausdruck der Solidarität und der Verantwortung für Heimatvertriebene und Spätaussiedler und gleichsam Auftrag, sich für ein gemeinsames Europa einzusetzen. Heimatvertriebene, Aussiedler und Spätaussiedler sowie die in der angestammten Heimat verbliebenen deutschen Minderheiten leisten in diesem Zusammenhang als „Brückenbauer in Europa“ einen wichtigen Beitrag.

Parl. Staatssekretär Mayer hob wie Koschyk ebenfalls die Bedeutung des Kulturparagrafen 96 des Bundesvertriebenengesetzes hervor und dankte diesem für seine Mitarbeit bei der Neukonzeption im Jahr 2016. Die „Erinnerungskulturarbeit“ sei unverändert von entscheidender Bedeutung, so Mayer.

Bei der anschließenden Podiumsdiskussion an der neben Hartmut Koschyk auch der Vorsitzende des Verbands der deutschen sozial-Kulturellen Gesellschaften in Polen und Sprecher der Arbeitsgemeinschaft deutscher Minderheiten in der FUEN, Bernard Gaida, sowie Jaroslav Ostrčilík , Projektmanager bei meeting Brno, teilnahmen, erklärte Gaida, dass er von der Rolle der deutschen Minderheiten als Brückenbauer überzeugt sei. Alle Umfragen der letzten 30 Jahre hätten ergeben, dass die Polen ein positives Deutschlandbild haben, wozu auch die deutsche Minderheit einen wichtigen Beitrag geleistet habe. Leider habe die gegenwärtige polnische Politik im Hinblick auf den europäischen Integrationsprozess dazu beigetragen, dass die Umfragewerte leicht zurückgegangen seien und die positive Entwicklung für die deutsche Minderheit gebremst wurde, was auch durch das Aussetzen des „Runden Tisches“ zum Ausdruck komme. Jaroslav Ostrčilík, Initiator des „Marsches der Lebenden“ in Brünn, erklärte, dass sich in Tschechien ein wachsendes Interesse an der historischen Vergangenheit und damit auch an die ehemalige deutsche Bevölkerung und deren Schicksal feststellen lasse. Der „Marsch der Lebenden“ in Brünn in Erinnerung an den „Brünner Todesmarsch“ von 1945 verdeutliche dies eindrucksvoll. Die deutsche Minderheit vor Ort sei aufgrund ihrer Größe in Tschechien eher irrelevant, so dass anstelle dessen die Landsmannschaften und Vertriebenenverbände eine „Brückenfunktion“ einnehmen würden.

Auf die Frage nach der Zusammenarbeit angesprochen erklärte Koschyk, dass „Verständigung“ von „Verständnis“ komme, und man daher „Kenntnis“ über das Vertreibungsschicksal und die deutschen Minderheiten schaffe müsse. Die Politik könne hierfür einen Rahmen setzten, doch die Zivilgesellschaft müsse nachhaltige Strukturen schaffen. In den letzten Jahren seien viele wissenschaftliche Institute, die sich mit dem Thema Vertreibung und der deutschen Kultur im östlichen Europa beschäftigen, gegründet worden, was seine volle Zustimmung und Unterstützung finde. Parallel dazu müsse Kulturpolitik aber immer auch „partizipativ“ sein. Eine Förderpolitik müsse auch dazu beitragen, die „Menschen zusammenzubringen“ und flächendeckend ausgestaltet sein, so Koschyk. Die Heimatvertriebenen gelte es in die Lage zu versetzen, verständigungspolitische Maßnahmen auch durchführen zu können, und eine stärkere Anbindung der Kulturarbeit an die Landsmannschaften sei unerlässlich. Auch Staatssekretär Mayer erklärte, dass der Staat nur den Rahmen schaffen könne, der dann partizipativ von den Menschen ausgefüllt werden müsse.

Im dritten Themenblock „Die kulturelle Dimension des Bundesvertriebenengesetzes“ verlas der Geschäftsführer der Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen, Dr. Ernst Gierlich, den Impulsvortrag des Vorsitzenden der Kulturstiftung Reinfried Vogler.
Vorsitzender Vogler wies darauf hin, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel anlässlich des Tages der Heimat 2015 in Berlin die Zielvorstellung des § 96 eindrucksvoll und plastisch wie folgt beschrieben habe: „Auch Deutsche, die keine familiären Wurzeln östlich der Oder haben, sollten wissen, dass Breslau, Königsberg und Stettin einmal deutsche Städte waren, dass die Ostpreußen Johann Gottfried Herder, Immanuel Kant und Käthe Kollwitz das deutsche Kultur- und Geistesleben ebenso geprägt haben wie der Schlesier Gerhart Hauptmann oder der in Prag geborene Rainer Maria Rilke und dass die Siebenbürger Sachsen oder die Rußlanddeutschen ihre eigene Kultur und ihr eigenes Brauchtum haben wie die Bayern, Sachsen oder Württemberger. Dieses Erbe ist nicht wegzudenken. Es ist ein Teil unserer kulturellen Identität in Deutschland und darüber hinaus in ganz Europa.“

Was in den zurückliegenden Jahren und Jahrzehnten von unzähligen Heimatvertriebenen an Leistungen im Rahmen des § 96 erbracht worden sei, suche seinesgleichen, so Vorsitzender Vogler. Eine grundsätzlich positive Bilanz der Arbeit in den vergangenen Jahren und heute dürfe aber die Frage nach möglichen Veränderungen oder Verbesserungen in der Zukunft nicht ausschließen. Es stelle sich beispielsweise die Frage, wie junge Menschen in ausreichendem Maße gewonnen werden könnten, da die Generation, die die Arbeit vor allem im ehrenamtlichen Bereich getragen hat, zunehmend in den Hintergrund oder ganz abtritt. Auch müsse geklärte werden, welche Kooperationen der Kultureinrichtungen der deutschen Heimatvertriebenen untereinander zum Zweck der Erzielung von Synergieeffekten und welche Kooperationen mit wissenschaftlichen/ kulturellen Einrichtungen im östlichen Europa, insbesondere mit solchen der deutschen Minderheiten unter diesem Aspekt sinnvoll und möglich sind.

Des Weiteren müsse eine Professionalisierung, Modernisierung und Absicherung der insgesamt gefährdeten ostdeutschen Heimatsammlungen bzw. die Pflege und vor allem die Vermittlung des dort vorhandenen ostdeutschen Kulturguts sichergestellt sein. Auch müssten Wege gefunden werden, insbesondere den wissenschaftlichen Nachwuchs für die ostdeutsche Kulturarbeit zu begeistern und Maßnahmen und Umstrukturierungen geprüft werden, um an Schulen und Hochschulen mehr Allgemeinwissen zu Flucht und Vertreibung zu vermitteln. Vorbildfunktion habe hier Hessen, wo es verbindliche Regeln für die Behandlung der Vertreibungsgeschichte im Rahmen des Abiturs gebe. Ein stärkeres Augenmerk müsse zudem auf die Zusammenarbeit mit den verschiedensten Medien gelegt werden. Dabei gehe es auch um den Stand und die Perspektiven der Publikationsorgane der Vertriebenen und nicht zuletzt um Möglichkeiten der Vernetzung und den Einsatz neuer Medien für die Kulturarbeit.

Im Zusammenhang mit der jüngst immer wieder geäußerten Forderung nach stärkerer Einbindung des BdV und der Landsmannschaften wies Voglers darauf hin, dass die gezielte Zurückdrängung der landsmannschaftlichen Organisationen Ende der 90er Jahre des vergangenen Jahrhunderts politische Gründe gehabt hätte. „Vor allem die Landsmannschaften haben ihr Engagement nie entscheidend zurückgefahren und auch der BdV hat versucht, die Schließung der zentralen Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen zu verhindern. Die Kulturarbeit nach § 96 ist für Landsmannschaften und BdV eines ihrer Grundanliegen und deshalb bedarf es keiner Apelle zur Mitarbeit. Aufgrund des klaren Bekenntnisses der derzeitigen Regierungskoalition zur Kulturarbeit der Vertriebenen im allgemeinen und insbesondere zum Ausbau der Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen haben sehr zügig entsprechende erste Gespräche zwischen Vertretern des BKM und der Kulturstiftung begonnen. Wir sind, so denke ich, dabei auf einem guten Wege, dass diese Gespräche zügig zu einem Ergebnis gebracht werden können und damit eine fruchtbare und auf Dauer ausgerichtete Arbeit beginnen kann,“ so Vogler.

Im Hinblick auf Arbeitsweise, Verwaltungsstrukturen und Finanzen erklärte Vogler, dass eine sinnvolle und wirkungsvolle Arbeit mit der notwendigen Breitenwirkung nur möglich sein könne, wenn regionale Kulturarbeit auch grenzüberschreitend entsprechend gefördert werde. „Soweit diese regionalen Aktivitäten sinnvoll in überregionale Projekte eingebunden werden, müsste auch diese Koordinierung entsprechender Förderung zugänglich sein. Bei der jetzigen Projektfinanzierung scheitern etliche Projekte daran, dass Eigenanteile, Vorarbeiten oder nötige Arbeitsmaterialien nicht finanziert werden können“, so Vogler.

Wirkungsvolle Kulturarbeit sei nur möglich bei einer engen Verzahnung mit der einzelnen Region als Kulturträger, die den Menschen ihre tradierte Kultur vermittelt, sie pflegt und weiterentwickelt – in enger Verbindung mit dem Raum und den Menschen auch in den Vertreibungsgebieten und über die Generationen hinweg, so Vogler. Zudem müsse die Kulturarbeit über möglichst weite Zeiträume erfolgen und neben der stark wissenschaftlich ausgerichteten Arbeit mehr Raum für eine Breitenarbeit an der Basis geschaffen werden so Vorsitzender Vogler. Insgesamt erscheine ihm auch eine verstärkte Abstimmung und Koordinierung der Arbeit der konkurrierenden Institute und der Abbau von Bürokratie vonnöten, um damit schnellere Entscheidungsprozesse bei Projekten der Kultureinrichtungen herbeizuführen.

An der sich anschließenden Podiumsdiskussion nahmen neben dem Geschäftsführer der Kulturstiftung, Dr. Ernst Gierlich, die Leiterin der Gruppe K4 „Geschichte und Erinnerung“ bei der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, Maria Bering, der Direktor des Deutsches Kulturforums Östliches Europa, Dr. Harald Roth, und die Direktorin der Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung, Dr. Gundula Bavendamm, teil.

Auf die Bewahrung der – nicht zuletzt wegen des Abtretens der sie betreuenden Erlebnisgeneration akut bedrohten – Heimatsammlungen und des kulturellen Erbes der Heimatvertriebenen angesprochen, wies Dr. Bavendamm auf die Bedeutung von Institutionen wie die Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung hin, die u.a. durch ein Zeitzeugenprojekt das kulturelle Erbe bewahren will. In der Praxis sei es aufgrund der Vielzahl an Exponaten nicht möglich, „alles aufzufangen, was aufzuzeigen wäre“, so Dr. Bavendamm. Die Heimatstuben seien eine „Kulturtechnik“ der Heimatvertriebenen gewesen, sich an die alte Heimat zu erinnern. Ihrer Institution sei es wichtig, diesen Geist zu bewahren und exemplarisch zu vermitteln.

Auch Frau Bering erklärte, dass man nicht alles erhalten könne und der Bund sich daher gezielt auf eine Auswahl konzentrieren müsse. Es bestünden sehr gute vom Bund geförderte Institutionen, der Bund könne aber nicht alles leisten und die Länder würden gleichermaßen in der Pflicht stehen. Im Hinblick auf eine Digitalisierung sei man als Bund auf einem guten Weg. So werde das Internetportal des Herder Instituts neu aufgesetzt und dort alle Projekte des Bundes online zugänglich gemacht.

Dr. Harald Roth wies u.a. darauf hin, dass man als Beitrag leisten könne, wissenschaftliche Forschungsergebnisse populärwissenschaftlich zu übersetzen und in Wanderausstellungen einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen.

Dr. Gierlich wies u.a. auf das große Potential der Digitalisierung der Heimatsammlungen hin, was allerdings nicht bedeute, sich parallel dazu nicht auch dafür einzusetzen, die Heimatstuben nachhaltig zu sichern. Man müsse bedenken, dass die Landesmuseen bei der Auswahl der Exponate eine Auswahl treffen müssten. Oftmals seien es aber gerade kulturhistorisch belanglos erscheinende Objekte, die wichtige Aspekte der Alltagskultur der verlorenen Heimat wiederspiegeln. Eine Ideallösung sie die mancherorts erfolgende Anbindung der Heimatsammlungen an die Kommunen und deren Museen zur Stadtgeschichte. Wo dies nicht möglich sei, müsse zunächst eine Digitalisierung sichergestellt sein. Bei Sammlungen einer Kleinregion sollte zudem darüber nachgedacht werden, diese in einer grenzüberschreitenden Zusammenarbeit in die alte Heimat zu überführen, wenn anderenfalls die Heimatsammlung verloren ginge. Angesichts der höchst unterschiedlich strukturierten Sammlungen gebe es für diesen Bereich keine generellen Lösungen.

In einem letzten Themenblock referiert zunächst der Vorsitzende der Europäische Stabilitätsinitiative zum Thema „Die Vertreibungen in den Balkankriegen der 1990er Jahre und die Lehren daraus“. An der sich anschließenden Podiumsdiskussion beteiligten sich Jan Diedrichsen, Bundesvorsitzender der Gesellschaft für bedrohte Völker und Dr. Thomas Herzog, Vizepräsident des Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) und ehemaliger Leiter der für das BVFG zuständigen Unterabteilung im Bundesministerium des Innern, wobei der Frage nachgegangen wurde, inwieweit das Bundesvertriebenengesetz als Modell für die Lösung von mit Vertreibungsprozessen der jüngeren Zeit verbundenen Folgen dienen kann.

Die Tagung zeigte auf, wie erfolgreich das Bundesvertriebenengesetz doch die Integration von Millionen Vertriebenen und Spätaussiedlern in die Bundesrepublik in die Wege geleitet hat und zur europäischen Verständigung und zur Verständigung der deutschen Minderheiten mit der Mehrheitsgesellschaft bis heute beiträgt. Zudem verdeutlichte die kulturelle Dimension des Bundesvertriebenengesetzes u.a., dass um die Worte von Hartmut Koschyk zu zitieren die „politischen Leitlinien und damit die kulturelle Breitenarbeit mit Leben erfüllt werden müssen“, wobei Koschyk u.a. auch der Stärkung der Kulturstiftung der Vertriebenen im Sinne des Koalitionsvertrages eine ganz besondere Bedeutung beimisst.

Zum Grußwort des stv. Vorsitzenden der Deutschen Gesellschaft, Hartmut Koschyk, gelangen sie hier (es gilt das gesprochene Wort)

Zum Programm der Tagung gelangen Sie hier.

Zur Internetseite der Deutschen Gesellschaft e.V. gelangen sie hier.

Weiterführende Informationen zur Kulturstiftung der Vertriebenen finden Sie hier.

Weiterführende Informationen zum Deutschen Kulturforum östliches Europa finden Sie hier.

Weiterührende Informationen zum Bundesinstitut für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa finden Sie hier.

Weiterführende Informationen zur Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung finden Sie hier.

Weiterführende Informationen zum Bund der Vertriebenen finden Sie hier.

Weiterführende Informationen zur Arbeitsgemeinschaft deutscher Minderheiten (AGDM) finden Sie hier.

Weiterführende Informationen zur Stiftung Verbundenheit, dessen Ratsvorsitzender Hartmut Koschyk ist, finden Sie hier.

Weiterführende Informationen zur Gesellschaft für bedrohte Völker finden Sie hier.

Weiterführende Informationen zur Europäische Stabilitätsinitiative finden Sie hier.

Weiterführende Informationen zum Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe finden Sie hier.

 

 

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