Vor der deutsch-tschechischen Begegnungsstätte in Gablonz-Reinowitz: Irene Novak, Vorsitzende des Kulturverbandes der Bürger deutscher Nationalität in Tschechien, Petra Laurin, Direktorin der Begegnungsstätte, Martin Dzingel, Präsident der Landesversammlung der Deutschen in Böhmen, Mähren und Schlesien in Tschechien, Grit Radeske, Bundesministerium des Innern, Bundesbeauftragter Hartmut Koschyk MdB, Thomas Motak, Kulturattaché der Deutschen Botschaft Prag
Der Beauftragte der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten, Hartmut Koschyk MdB, besuche am 2. und 3. Mai 2016 die Tschechische Republik.
In Gablonz an der Neiße (Jablonec nad Nisou) besuchte Bundesbeauftragter Koschyk das Haus der Deutsch-Tschechischen Verständigung. Die Tätigkeit dieser inzwischen etablierten Einrichtung wird durch die Sudetendeutsche Stiftung, die Stadt Jablonec nad Nisou, und die deutsche Botschaft in Prag, aber vor allem durch die Mitglieder eines Bürgervereins unterstützt.
Der Bau aus der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts gehört zu den ältesten Gebäuden in Gablonz an der Neiße(Jablonec nad Nisou). Dass dieses Gebäude vor dem Abriss gerettet wurde, ist dem sudetendeutschen Franz Rieger, der in Luxdorf bei Gablonz an der Neiße geboren wurde, zu verdanken. Acht Jahre lang warb er nach den politischen Veränderungen in der Tschechoslowakei aus Privatsammlungen und von öffentlichen Institutionen in Deutschland über drei Millionen Kronen für die Rekonstruktion des Bauwerks ein. 1998 wurde das Haus festlich eingeweiht. Seitdem ist das Gebäude Sitz der gemeinnützigen Gesellschaft „Haus der deutsch-tschechischen Verständigung“, die sich für die tschechisch-deutschen Beziehungen sowie für Kultur-, Gesellschafts- und Bildungszwecke einsetzt. Jedes Jahr organisiert das Haus sechs bis acht Ausstellungen in der 120 Quadratmeter großen Galerie. Im Vereinszimmer für maximal 35 Personen finden Deutsch-Sprachkurse für Kinder, Anfänger und Fortgeschrittene statt, aber auch Lichtbildervorträge, Begegnungen und Symposien von deutschen und tschechischen Journalisten.
Die Direktorin der Begegnungsstätte, Petra Laurin, erläuterte Bundesbeauftragten Koschyk das umfangreiche Programm des Hauses der Deutsch-Tschechischen Verständigung. Bei einem Rundgang durch die Begegnungsstätte zeigte sich Bundesbeauftragter Koschyk besonders von einer von deutschen und tschechischen Schülern erstellten Ausstellung „Rüdiger wieder in Gablonz?“ beeindruckt, die derzeit im Haus der Deutsch-Tschechischen Verständigung zu besichtigen ist.
Die von deutschen und tschechischen Schülern erstellte Ausstellung „Rüdiger wieder in Gablonz?“ ist derzeit im Haus der Deutsch-Tschechischen Verständigung in Gablonz-Reinowitz zu besichtigen
1904 erhielt der aus Böhmen stammende Bildhauer Franz Metzner, der durch seine Mitarbeit am Völkerschlachtdenkmal in Leipzig zu Ruhm gekommen war, von der Stadt Wien den Auftrag, einen Nibelungen-Brunnen zu schaffen. 1924 kaufte die Stadt Gablonz die Skulptur. Sieben Jahre später wurde der „Rüdiger-Brunnen“ vor der Herz-Jesu-Kirche in Goblenz errichtet. Nach dem zweiten Weltkrieg wurde der Nibelungen-Brunnen entfernt und in einem Schlosspark von Prag aufgestellt. Auf Initiative der Bürger von Neugablonz, einem Stadtteil von Kaufbeuren, wurde der Brunnen 1970 in Neugablonz aufgestellt.
Neugablonz wurde 1946 von vertriebenen Sudetendeutschen aus dem Kreis Gablonz, gegründet. 1945 hatte der Kreis Gablonz ca. 100.000 deutsche Einwohner, 18.000 von ihnen siedelten sich im Raum Kaufbeuren an. Neugablonz entstand auf dem Ruinenfeld eines Munitionsgeländes des Zweiten Weltkrieges. Neugablonz ist die einzige Siedlung dieser Größenordnung, die von einer geschlossenen Bevölkerungsgruppe von Vertriebenen gegründet worden ist und ist die einzige, die den Namen einer ehemals deutschen Stadt trägt. Traditionen, Lebensart, kulturelle Bindungen, Brauchtum, Mundart der Gablonzer blieben weitgehend erhalten. Neugablonz nimmt eine besondere Stellung in der Nachkriegsgeschichte ein, es gilt als Denkmal der Aufbauleistung der vertriebenen Deutschen schlechthin. Seit 1954 hatten sich sie Neugablonzer darum bemüht, das alte Wahrzeichen ihrer Stadt in die neue Heimat zu holen. Die Mehrheit der Stadtvertreter im heutigen Gablonz an der Neiße (Jablonec nad Nisou) hat sich für eine Wiederaufstellung einer Kopie des Rüdigerdenkmals vor der Herz-Jesu-Kirche Platz ausgesprochen. Die Initiative für den Erhalt des Denkmals kam von mehreren Experten der Stadt Gablonz an der Neiße (Jablonec nad Nisou), unter denen auch Architekten, Bildhauer und Historiker sind.
Martin Dzingel, Präsident der Landesversammlung der Deutschen in Böhmen, Mähren und Schlesien in Tschechien, Thomas Motak, Kulturattaché der Deutschen Botschaft Prag, der Oberbürgermeister von Gablonz/Jablonec, Petr Beitl, Petra Laurin, Direktorin der Begegnungsstätte, Bundesbeauftragter Hartmut Koschyk MdB und Irene Novak, Vorsitzende des Kulturverbandes der Bürger deutscher Nationalität in Tschechien
Im Haus der Deutsch-Tschechischen Verständigung führte Bundesbeauftragter Koschyk auch ein Gespräch mit Vertretern der beiden Verbänden der deutschen Minderheit in Tschechischen Republik, dem Kulturverband der Bürger deutscher Nationalität in Tschechien unter dem Vorsitz von Irene Novak und der Landesversammlung der Deutschen in Böhmen, Mähren und Schlesien in Tschechien unter dem Vorsitz von Martin Dzingel. An dem Gespräch nahmen auch Grit Radeske vom Bundesministerium des Innern und Thomas Motak, Kulturattaché der Deutschen Botschaft Prag, teil. Im Mittelpunkt des Gespräches stand die Frage einer künftigen engeren Zusammenarbeit zwischen beiden Verbänden sowie die Möglichkeit einer finanziellen Förderung auch des Kulturverbandes der Bürger deutscher Nationalität in Tschechien durch das Bundesministerium des Innern.
Blick vom Isergebirge auf Gablonz
Die „Präsidenten-Baude“ im Isergebirge oberhalb von Gablonz
Nach einer Stadtführung führte Bundesbeauftragter Koschyk ein Gespräch mit dem Oberbürgermeister von Gablonz/Jablonec, Petr Beitl, der ihm über die derzeit geführte Diskussion zur Anfertigung einer Nachbildung des Nibelungen-Brunnen informierte. Auch informierte Oberbürgermeister Beitel Bundesbeauftragten Koschyk über die exzellente Zusammenarbeit zwischen Gablonz und Kaufbeuren, die seit 2009 eine Städtepartnerschaft verbindet und aus der Patenschaft der Stadt Kaufbeuren für die Heimatvertriebenen aus Gablonz hervorging, die in Kaufbeuren Neugablonz gründeten. Koschyk würdigte in diesem Zusammenhang auch das Isergebirgs-Museum in Neugablonz, das sich mit der Geschichte des deutsch besiedelten Isergebirges und dem Schicksal der heimatvertriebenen Isergebirgler anhand des Beispiels der Modeschmuckstadt Neugablonz befasst.
Das Begegnungszentrum Reichenberg
In Reichenberg (Liberec) besuchte Bundesbeauftragter Koschyk das Begegnungszentrum der dortigen Deutschen Minderheit. Das Begegnungszentrum Reichenberg ist in Trägerschaft des Verbands der Deutschen (VdD) in den Regionen Reichenberg und Lausitz-Nordböhmen. Bis 1999 waren das Begegnungszentrum und der Verband im Zentrum Reichenbergs untergebracht. Seitdem befindet sich das Begegnungszentrum Reichenberg in einem von der Stadt Reichenberg gemietetem Haus in Reichenberg-Ruppersdorf / Liberec-Ruprechtice.
Vor dem Deutsch-Tschechischen Begegnungszentrum in Reichenberg
Für die Errichtung des Begegnungszentrums hatten sich der verstorbene ehemalige Generalsekretär des Sudetendeutschen Rates und Direktor des Hauses des Deutschen Ostens in Düsseldorf, Oskar Böse und Erwin Scholz, Mitbegründer der Landesversammlung der Deutschen in Böhmen, Mähren und Schlesien, die beide aus Reichenberg stammen, maßgeblich eingesetzt.
Die Vorsitzende des Begegnungszentrums, Christa Plaszecvic und die Geschäftsführerin Vera Strakova informierten Bundesbeauftragten Koschyk gemeinsam mit dem Gründungsvorsitzenden Erwin Scholz ausführlich über das vielseitige Angebot und die Arbeit des Begegnungszentrums. So pflegt das Begegnungszentrum pflegt eine enge Zusammenarbeit mit den Gemeinden und Museen vor Ort sowie mit Archiven, den Heimatkreisen, mit der Landesversammlung der Deutschen, mit der Botschaft der BRD, mit dem Kulturministerium der Tschechischen Republik und nicht zuletzt mit verschiedenen Vereinen in der Tschechischen Republik, in Deutschland und in Polen.
Schülerinnen der Deutschen Abteilung des F.X. Saldy-Gymnasiums Reichenberg singen und musizieren
In dem Begegnungszentrum gibt es auch einem großen Bestand an deutschsprachigen Büchern für Kinder, Jugendliche und Erwachsene. Bei dem Besuch von Bundesbeauftragten Koschyk trugen Schülerinnen der Deutschen Abteilung des F.X. Šaldy-Gymnasiums in Reichenberg in dem Begegnungszentrum deutsche Lyrik vor und boten Musikstücke und Lieder dar.
Bundesbeauftragter Koschyk besuchte auch die Deutsche Abteilung des staatlich tschechischen F.X. Šaldy-Gymnasiums in Reichenberg. Seit 1990 gab es an der Schule Bestrebungen zum Aufbau eines bilingualen deutsch-tschechischen Zweiges, die zur Einrichtung einer deutschsprachigen Abteilung führten, in der neben tschechischem auch deutschsprachiger Fachunterricht erteilt wird.
Neben der deutschen Schule in Prag ist das F.X. Šaldy-Gymnasium in Reichenberg die einzige Schule in der Tschechischen Republik, wo man neben dem tschechischen auch das deutsche Abitur erwerben kann. Auch sei es für die heutige Stadt Liberec /Reichenberg wichtig, das deutsche Geschichts- und Kulturerbe zu wahren, den Angehörigen der deutschen Minderheit gute Entfaltungsmöglichkeiten zu bieten, aber auch mit den ehemaligen Bewohnern einen engen Kontakt zu pflegen.
Gespräch mit der Schulleitung und der Leitung der Deutschen Abteilung des Gymnasiums F.X. Saldy in Reichenberg
Die Schulleitung informierte Bundesbeauftragten Koschyk, dass der Trend zum Besuch der deutschen Abteilung des F.X. Šaldy-Gymnasiums, auch von tschechischen Schülern ungebrochen hoch sei und zahlreiche Schüler nach dem Erwerb des Abiturs in Deutschland studieren.
Der Aufbau der Deutschen Abteilung des F.X. Šaldy-Gymnasiums, aber auch die Errichtung des Begegnungszentrums wurden durch die in Düsseldorf ansässige Hermann-Niermann Stiftung maßgeblich unterstützt.
Bundesbeauftragter Hartmut Koschyk MdB mit dem Oberbürgermeister von Reichenberg Liberec Tibor Batthyany
Zum Abschluss seines Besuches in Reichenberg (Liberec) führte Bundesbeauftragter Koschyk im historischen Rathaus ein Gespräch mit Oberbürgermeister Tibor Batthyany, der sowohl deutscher und ungarischer Abstammung ist. Oberbürgermeister Batthyany erklärte, dass für ihn eine enge Zusammenarbeit mit Deutschland und insbesondere mit der Partnerstadt Augsburg von herausragender Bedeutung sei.
Gespräch im Rathaus von Reichenberg Liberec mit Oberbürgermeister Tibor Batthyany
Die Stadt Augsburg übernahm 1955 die Patenschaft für die Heimatvertriebenen aus Reichenberg. Nach der Öffnung des Eisernen Vorhanges Anfang der 90er Jahre fanden über die Kontakte des Heimatkreises Reichenberg nach Liberec Austauschbegegnungen in verschiedenen Bereichen statt. Die Unterzeichnung einer offiziellen Vereinbarung über die Städtepartnerschaft erfolgte am 1. Mai 2001 in Reichenberg / Liberec. Für die Städtepartnerschaft hatte sich ebenfalls der verstorbene ehemalige Generalsekretär des Sudetendeutschen Rates und Direktor des Hauses des Deutschen Ostens in Düsseldorf, Oskar Böse eingesetzt.
Das historische Rathaus von Reichenberg / Liberec
Oberbürgermeister Batthyany berichtete Bundesbeauftragten Koschyk auch, dass der bekannte Schriftsteller, Otfried Preußler, der aus Reichenberg stammt, Ehrenbürger der Stadt ist. Auch der in Berlin lebende und aus Reichenberg stammende deutsche Maler, Grafiker und Bildhauer Markus Lüpertz, der zu den bekanntesten deutschen Künstlern der Gegenwart zählt, soll in Kürze die Ehrenbürgerschaft der Stadt erhalten.
Überall im Reichenberger Rathaus kann man die kunstvollen Glasfenster mit den alten deutschen Inschriften bewundern
Zum Abschluss seines Besuches in Gablonz und Reichenberg zeigte sich Bundesbeauftragter Koschyk beeindruckt von den Einrichtungen und Aktivitäten der deutschen Minderheit in beiden Regionen sowie von der Aufgeschlossenheit der beiden Oberbürgermeister in Gablonz und Reichenberg, was die umfassende Zusammenarbeit mit Deutschland anbelangt. Auch würdigte Koschyk die Rolle der sudetendeutschen Heimatkreise Gablonz und Reichenberg in Deutschland, die entscheidend dazu beigetragen haben, dass sich aus den Patenschaften Kaufbeuren für die Gablonzer und Augsburg für die Reichenberger lebendige Städtepartnerschaften entwickelt hätte, in die sowohl die deutsche Minderheit in beiden Städten, aber auch die sudetendeutschen Heimatkreise intensiv eingebunden sind.
Von überall in Reichenberg ist der Jeschken gut zu sehen
Der Hausberg der Reichenberger: der Jeschken
Weiterführende Informationen zum Begegnungszentrum Reichenberg (Liberec) finden Sie hier.
There is 1 comment
Facebook ist als Informationsquelle unbezahlbar. Ich erfuhr umgehend über diesen Besuch.
Schon vor fünf Jahren hatten wie eine Kommission für Annäherung der LV und des KV. Die Annäherung ist aber zeitraubend, muss konzeptuell und mit Kompromissbereitschaft geführt werden.