International
Internationale minderheitenpolitische Konferenz in Berlin eröffnet / Bundesbeauftragter Koschyk betont „Werkstattcharakter“ der Minderheitenpolitik
10. November 2016
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„Die Förderung nationaler Minderheiten durch ihre ‚Mutterländer‘ in Mittel- und Osteuropa im 20. und 21. Jahrhundert – so lautet der Titel der Konferenz, die das Europäische Netzwerk Erinnerung und Solidarität, das Bundesinstitut für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa sowie das Institut für Auslandsbeziehungen vom 9. bis 11. November 2016 in Berlin ausrichtet. Kooperationspartner sind das Büro des Hohen Kommissars für Nationale Minderheiten der OSZE, die Föderalistische Union Europäischer Nationalitäten, die Universität Hamburg, das Europäische Institut für Minderheitenfragen (Flensburg), das Institut für Gesellschaftswissenschaften der Universität Warschau sowie die Pavol-Jozef-Šafárik-Universität im slowakischen Kaschau (Košice). Gefördert wird die Konferenz durch die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien; die Berliner Vertretung des Freistaates Sachsen stellt die Räumlichkeiten zur Verfügung.

Bei der feierlichen Eröffnung, an der auch die Teilnehmer der parallel stattfindenden Jahrestagung der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Minderheiten teilnahmen, nahm der Vorsitzende des Lenkungsausschusses des Europäischen Netzwerkes Erinnerung und Solidarität, Prof. Dr. Jan Rydel, eine Rückschau auf das für nationale Minderheiten in Europa zu weiten Teilen tragische 20. Jahrhundert. Es konnte allerdings auch die Erfahrung gemacht werden, dass im Zuge der europäischen Einigung und Zusammenarbeit auch die schwierigsten Erfahrungen überwunden werden konnten und die durch eine moderne Minderheitenpolitik „befreite Energie“ zum Nutzen Europas eingesetzt werden kann.

Der Sonderbeauftragte der Bundesregierung für den deutschen OSZE-Vorsitz 2016, Dr. Gernot Erler MdB, machte die Aktualität des Minderheitenschutzes deutlich. Auch aktuelle populistische Bewegungen würden latente Vorurteile gegen Minderheiten instrumentalisieren und stärken. Nationale Minderheiten seien durch autoritäre Regime zwei großen Gefahren ausgesetzt: Zum einen sind sie durch innere Repression gefährdet, zum anderen durch Instrumentalisierung durch einen ebenfalls autoritären Nachbarstaat. Umso wichtiger sei es heute, an die OSZE-Prinzipien, wie sie u.a. in der Pariser Erklärung von 1990 festgelegt sind, festzuhalten. Die Erfahrung der letzten Jahrzehnte lehre, dass durch eine gute Minderheitenpolitik nicht nur der innere und äußere Friede gestärkt werde, sondern die Minderheiten darüber hinaus die Rolle von Brückenbauern in Europa wahrnehmen können.

Konferenz 2

Das Amt des Hohen Kommissars für Nationale Minderheiten der OSZE ist derzeit vakant und wurde auf der Konferenz durch den Abteilungsleiter für Osteuropa, Kaukasus und Zentralasien Bob Deen vertreten. Deen betonte, dass der Minderheitschutz zuallererst eine Aufgabe und Verpflichtung der jeweiligen Heimatstaaten ist. Da aber immer auch Menschenrechte berührt sind, sei die Einbindung internationaler Gremien, innerhalb derer die teilnehmenden Staaten allgemeine Prinzipien formuliert haben, legitim und geboten.

Der Beauftragte der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten, Hartmut Koschyk MdB, ging am Beispiel seines Zuständigkeitsbereichs auf die Rolle der sogenannten „Mutterstaaten“ beim Schutz nationaler Minderheiten ein. Von den vier autochthonen nationalen Minderheiten in Deutschland – den Dänen, den Friesen, den Sorben sowie den deutschen Sinti und Roma – würden nur die Dänen mit dem Königreich Dänemark über einen „Mutterstaat“ verfügen. Mit den bilateralen Bonn-Kopenhagener Erklärungen von 1955 seien sowohl für die dänische Südschleswiger wie auch für die deutschen Nordschleswiger beispielgebende Regelungen im Minderheitenschutz gefunden und entwickelt worden. Trotzdem bleibe der Minderheitenschutz primär Aufgabe des jeweiligen Heimatstaates. Gerade in einem föderalistischen Staatsaufbau wie in Deutschland sei das Amt eines koordinierenden Beauftragten auf Bundesebene wichtig. Diese zeige sich aktuell an der Diskussion um die Zukunft des in Bremen angesiedelten Instituts für Niederdeutsche Sprache. Bundesbeauftragter Koschyk ist auch für Fragen des Schutzes der – von der Europäischen Charta der Regional- und Minderheitensprachen geschützten – Niederdeutschen Sprache zuständig und setzt sich für eine zukunftsfähige Lösung ein.

In seiner Hilfen- und Förderpolitik für die deutschen Minderheiten in Mittel-, Ost- und Südosteuropa sowie in den Nachfolgestaaten der früheren Sowjetunion setzt die Bundesregierung auf Transparenz, Kooperation mit den Regierungen der jeweiligen Heimatstaaten sowie auf die Einbindung der Selbstorganisationen der Deutschen Minderheiten „auf Augenhöhe“. Bundesbeauftragter Koschyk betonte auch die Wichtigkeit von übernationalen Minderheitenorganisationen und Forschungseinrichtungen und verwies auf die Bundesförderung für die Föderalistische Union Europäischer Nationalitäten und das Europäische Institut für Minderheitenfragen. Koschyk unterstrich, dass Minderheitenpolitik immer auch „Werkstattcharakter“ habe, wie sich aktuell bei der Frage der Digitalisierung zeige, die u.a. den Aufbau eines digitalen Textkorpus der einzelnen Regional- und Minderheitensprachen erfordert.

Konferenz

In Vertretung der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien verwies deren zuständiger Gruppenleiter Ansgar Hollah auf die im Februar 2016 von der Bundesregierung beschlossene Weiterentwicklung der Förderkonzeption nach § 96 Bundesvertriebenengesetz, mit der u.a. durch die Anerkennung der Deutschen Minderheiten als Träger deutscher Kultur im östlichen Europa die brückenbauende Funktion der traditionellen Vertriebenenkulturarbeit weiter gestärkt werden soll.

In ihrem Eröffnungsvortrag untersuchte die an der London School of Economics lehrende Professorin Dr. Jennifer Jackson-Preece das Minderheitenschutzsystem des Völkerbundes in der Zwischenkriegszeit und die Gründe für dessen Scheitern. Hauptgrund hierfür war die Herangehensweise der Heimatstaaten, die ihre nationalen Minderheiten primär als sicherheitspolitisches Problem betrachteten, sowie die Instrumentalisierungen durch Nachbarstaaten, in denen die jeweilige Minderheit Titularnation war. Dabei seien Minderheiten per se kein Hindernis für Frieden und Stabilität, vielmehr wirke eine gute Minderheitenpolitik stabilitäts- und friedensfördernd.

Zum Redebeitrag von Bundesbeauftragten Koschyk gelangen Sie hier.

Zur Internetseite des Bundesinstituts für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa gelangen Sie hier.

Weiterführende Informationen zur internationalen Konferenz „Die Förderung nationaler Minderheiten durch ihre ‚Mutterländer‘ in Mittel- und Osteuropa im 20. und 21. Jahrhundert“ finden Sie hier.

Zur Internetseite des Instituts für Auslandsbeziehungen gelangen Sie hier.

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