Während meines Ukrainebesuches war es für mich nicht nur eine Pflicht, sondern ein inneres Anliegen, den auf dem Euromaidan in Kiew ums Leben gekommenen Menschen meine Ehrerbietung zu bezeugen. 80 Menschen waren auf dem Maidan ums Leben gekommen und es gab Hunderte Verletzte. Ein Spezialflugzeug der Bundeswehr hatte am 12. März 24 Ukrainer nach Deutschland gebracht, die während der Proteste auf dem Maidan schwer verletzt wurden.
Zuletzt habe ich den Maidan in Kiew während der Fußball-Europameisterschaft besucht. Ich bin damals bewusst privat mit meinem Sohn und guten Freunden nach Kiew gereist. Natürlich war mir auch damals bewusst, wie sich die innenpolitische Situation der Ukraine unter dem Autokraten Janukowitsch darstellte. Auf dem Maidan aber herrschte eine fröhliche und ausgelassene Stimmung. Es war ein buntes Fest der Fußballbegeisterung und der Völkerbegegnung. Als ich jetzt den Maidan besuchte, standen vor meinem Auge surrealistische Bilder: Strahlend blauer Himmel, frühsommerliche Temperaturen auf der einen Seite – das ausgebrannte Gewerkschaftsgebäude, überall die Barrikaden gegen das Gewaltpotenzial des früheren Machthabers Janukowitsch. Überall ein Meer von Blumen und Herzen für die ums Leben gekommenen Bürger.
Während meines Besuches wurde der Leichnam eines jungen Ukrainers auf den Maidan getragen, der erst in diesen Tagen seinen schweren Verletzungen erlegen ist. Die Trauer und der Schmerz seiner jungen Frau und seines jungen Sohnes rührten mich zutiefst an. Vor der Bühne auf dem Euro-Maidan, wo die politischen Bekenntnisse für eine Ukraine der Demokratie, der Rechtsstaatlichkeit in friedlichen Einklang mit ihren Nachbarn frei von Korruption und Willkürherrschaft abgegeben wurden, fand jetzt die Trauerfeier für den von Scharfschützen getöteten Mitbürger statt.
Man kann an Laternenmasten noch die Einschusslöcher der Scharfschützen sehen, die vermutlich auch vom Dach des bekannten Hotels Ukraina auf die wehrlosen Menschen auf den Euromaidan geschossen haben. Überall blickt man an den provisorisch errichteten Ehrenmalen in die Gesichter der Bilder gerade auch junger getöteter Männer und Frauen. Als ich an einem eindrucksvollen Holzkreuz Blumen zu Ehren der Opfer der Willkürherrschaft niederlegte, stimmte neben mir ein orthodoxer Priester einen eindrucksvollen Trauerhymnus an.
Aufgewühlt komme ich erst wieder in der deutschen evangelischen Kirche unweit des Präsidentenpalastes und des Maidan zur Ruhe. Der deutsche Pfarrer Rolf Haska hatte sich sehr mutig auf die Seite der ukrainischen Freiheits- und Demokratiebewegung gestellt und in seiner Kirche ein Lazarett eingerichtet. Bis heute werden Verwundete dort versorgt. Pfarrer Ralf Haska berichtete mir eindrucksvoll über die Geschehnisse der letzten Tage und Wochen, die die Ukraine nachhaltig verändern werden.
Auf dem Rückflug von Kiew nach München lese ich einen eindrucksvollen Beitrag von Georg Diez in der aktuellen Ausgabe des Spiegels. Darin kommen ukrainische Schriftsteller aus Kiew Lemberg und Charkow zu Wort und vermitteln mir ein eindrückliches Bild, welche Gedanken die Menschen in der Ukraine derzeit bewegen. Der Essayist und Psychoanalytiker Jurko Trochhasko aus Lemberg bringt seine Gedanken wie folgt zum Ausdruck: „Die Ukraine“, sagt er, „versäumt nie eine Chance, eine Chance zu versäumen.“ Aber das, was gerade passiert, nennt auch er eine „tiefgreifende Revolution, wir stecken noch mittendrin“.
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