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Koschyk spricht im Bundestag zum EU-Begleitgesetz
26. August 2009
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Sie können sich die Rede hier als Video ansehen.

Die Rede im Wortlaut

Hartmut Koschyk (CDU/CSU):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, es war richtig, dass wir als Deutscher Bundestag für die Umsetzung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ein Verfahren gewählt haben, das uns heute zur ersten Lesung dieser inzwischen vier Gesetze zusammenführt. Wir haben schon ein Stück auf das Selbstbewusstsein des Parlamentes, aber auch auf die Art und Weise, wie man einen solchen Gesetzentwurf erarbeitet, geachtet.

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Es ist gut gewesen, dass wir die Bundestagsverwaltung bei aller Notwendigkeit der Rechtsförmlichkeitsprüfung durch das Bundesjustizministerium zum Herrn des Formulierungsverfahrens dieser Gesetze gemacht haben. Allerdings habe ich manchmal den Eindruck gehabt, dass das, was man Rechtsförmlichkeit genannt hat, wieder ein wenig der Versuch war, doch Regierungsgedankengut über das zu stellen, was wir als Parlamentarier erarbeitet haben. Nicht wahr, Herr Steenblock?

Ich fand es auch sehr gut, dass wir von Anfang an ein offenes Verfahren gewählt haben, das den Oppositionsfraktionen die Möglichkeit gegeben hat, konstruktiv mitzuwirken. Ich möchte mich bei den Kolleginnen und Kollegen der FDP und der Grünen dafür bedanken, dass sie sich mit konkreten weiterführenden Formulierungsvorschlägen konstruktiv an der Debatte beteiligt haben. Ich bitte Herrn Dehm und die Kollegen der Linksfraktion: Stricken Sie jetzt nicht die Legende, Sie hätten konstruktiv an diesem Verfahren mitgewirkt. Ich habe jede Minute dieses Verfahrens miterlebt: Sie haben stumm wie die Fische dagesessen,

(Dr. Diether Dehm (DIE LINKE): Herr Koschyk, das ist einfach eine Unwahrheit, und Sie wissen das auch besser!)

haben keinen substanziellen Formulierungsvorschlag erbracht und sagen jetzt: Alles, was vier Fraktionen über die Sommerpause erarbeitet haben, ist nicht genügend. ‑ Diese Art der Arbeitsverweigerung wollen wir Ihnen nicht durchgehen lassen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Diether Dehm (DIE LINKE): Wer wissentlich die Unwahrheit sagt, lügt!)

Man hat an der Debatte darüber, welche Konsequenzen wir aus dem Urteil ziehen, auch gemerkt, dass die Linien nicht entlang einer Koalitionslinie verlaufen. Ich muss schon sagen: Ich habe manchmal unseren lieben Koalitionspartner zu sehr am Gängelband des Auswärtigen Amtes empfunden.

(Axel Schäfer (Bochum) (SPD): Unglaublich! Bei welcher Veranstaltung waren Sie eigentlich?)

Ich habe zum Beispiel nicht geglaubt, dass wir mit unseren Koalitionspartner SPD darum ringen müssen, dass wir es nicht bei der Zusammenarbeitsvereinbarung belassen. Der Wunsch war, es in der nächsten Legislaturperiode zu machen. Ich habe geglaubt, dass wir das jetzt in ein Gesetz gießen und über die Mitwirkungsrechte und Verbindlichkeit von Stellungnahmen des Bundestages sowie über die Rechtfertigungslast für die Bundesregierung ‑ wenn sie aus wichtigen integrationspolitischen Gründen abweicht ‑ nicht erst lange diskutieren müssen. Für uns war das eine Selbstverständlichkeit. Das Bundesverfassungsgericht hat gesagt: Die bisherige Zusammenarbeitsvereinbarung ist hinsichtlich Form und Inhalt nicht angemessen. Darauf muss man reagieren. Das darf man nicht in die nächste Legislaturperiode verschieben.

Für uns war es auch sehr wichtig, dass wir als Bundestag Stellung nehmen, wenn Fragen der kommunalen Daseinsvorsorge berührt sind, und das auch ins Gesetz hineinschreiben. Ich habe das Argument, das sei Sache der Länder, das sei Sache des Bundesrates, nicht verstanden. Ich bin frei gewählter Abgeordneter des Deutschen Bundestages, und ich möchte Stellung nehmen, wenn Fragen der kommunalen Daseinsvorsorge berührt sind. Ich möchte das nicht allein dem Bundesrat überlassen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Rainder Steenblock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Das haben wir durchgesetzt.

Ich möchte mich beim Bundesrat, bei denen, die mit uns verhandelt haben, ganz herzlich bedanken. Der Stil war konstruktiv. Der Bundesrat hat die Verhandlungen nicht nach dem Motto „Jetzt endlich bekommt der Bundestag ein bisschen mehr; dann müssen wir eine Schüppe drauflegen“ begleitet. Ich muss sagen: Seitdem ich in diesem Parlament bin, habe ich bewundert, was sich der Bundesrat seit der Einheitlichen Europäischen Akte an Mitwirkungsrechten erkämpft hat. Jetzt haben wir als Bundestag ein Stück nachgezogen. Das war höchste Zeit.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD sowie des Abg. Rainder Steenblock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Dass Sie das nicht ausgenutzt haben, sondern konstruktiv mitgemacht haben, sage ich hier ausdrücklich. Dass Sie mit uns darum ringen, dass die bisherige Zusammenarbeitsvereinbarung zwischen Bundesrat und Bundesregierung, soweit möglich, in ein Gesetz überführt wird, ist eine bare Selbstverständlichkeit. Das werden wir als Bundestag konstruktiv begleiten.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich will einen weiteren Punkt nennen ‑ deshalb haben wir so hart verhandelt und uns als CDU/CSU-Fraktion über die Bedenken auf Arbeitsebene des Bundeswirtschaftsministeriums ein Stück weit hinweggesetzt ‑: Wir werden als Bundestag künftig auch bei Fragen der Gemeinsamen Handelspolitik ganz anders mitreden können, als das bislang der Fall war. Das war für mich der Unterschied. Der Bundeswirtschaftsminister hat politisch gesagt: Das ist richtig; da setze ich mich ein Stück weit über die Fachmeinung meines Hauses hinweg. Ich hätte mir gewünscht, dass das Außenministerium der SPD-Fraktion ein bisschen mehr Leine gelassen hätte und euch nicht so sehr am Gängelband geführt hätte. Dann hätten wir vielleicht ein bisschen mehr erreicht.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Axel Schäfer (Bochum) (SPD): Wir hätten uns gewünscht, dass das Wirtschaftsministerium überhaupt Position bezieht! Das Wirtschaftsministerium hat überhaupt keine Position bezogen!)

Ich sage im Hinblick auf die Gemeinsame Handelspolitik:

(Axel Schäfer (Bochum) (SPD): Das ist einfach nicht wahr! Unglaublich!)

Ich möchte nicht, dass die EU bei den nächsten Welthandelsrunden einfach so vor sich hin verhandelt. Das hat existenzielle Auswirkungen auf die Agrarfrage in Deutschland. Ein Freihandelsabkommen mit Korea hat ganz gravierende Folgen für die Automobilindustrie. Dabei wollen wir als Deutscher Bundestag in Zukunft ein größeres Wörtchen mitreden.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Herr Kollege Koschyk, der Kollege Weisskirchen möchte gerne eine Zwischenfrage stellen.

Hartmut Koschyk (CDU/CSU):

Ja, selbstverständlich.

Gert Weisskirchen (Wiesloch) (SPD):

Lieber Hartmut, darf ich dich fragen: Wer hat denn in der Verhandlung, als wir beide und andere zusammensaßen, den Vorschlag gemacht, wie der Passus in der Gesetzesvorlage aussehen soll? War es das Wirtschaftsministerium, oder war es das Auswärtige Amt?

Hartmut Koschyk (CDU/CSU):

Den Vorschlag habe ich gemacht. Ich habe einen Formulierungsvorschlag gemacht.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU)

Ich weiß, dass dieser der Arbeitsebene im Bundeswirtschaftsministerium nicht so gut gefallen hat. Aber wir haben uns da ein Stück weit durchgesetzt. Ich sage noch einmal: Ich hätte mir gewünscht, ihr hättet ein bisschen mehr Leine vom Auswärtigen Amt bekommen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Gert Weisskirchen (Wiesloch) (SPD): Keine Antwort! ‑ Axel Schäfer (Bochum) (SPD): Die Wahrheit ist immer konkret!)

Ich bedanke mich für den konstruktiven Vorschlag, den Sie, verehrte Frau Kollegin Dyckmans, in die Diskussion eingebracht haben. Sie haben zu Recht gesagt, dass die Frage des Spannungsverhältnisses zwischen Europäischen Gerichtshof, EuGH, und Bundesverfassungsgericht eine Frage ist, die wir einfach treiben lassen können; auch Herr van Essen hat davon gesprochen. Darüber müssen wir auch im Bundestag einmal diskutieren. Jetzt sage ich ‑ nicht mehr und nicht weniger will die CDU/CSU-Bundestagsfraktion ‑: Den Vorschlag des Bundesverfassungsgerichts, ein sogenanntes Kompetenzkontrollverfahren einzuführen, wollen wir in der nächsten Legislaturperiode aufgreifen. Damit wollen wir auch signalisieren, dass wir das nicht einfach nur zur Kenntnis nehmen und achtlos darüber hinweggehen. Ich frage die Kollegen von der SPD: Ist es denn unmöglich, als Parlament zu sagen, dass man einen beachtenswerten Vorschlag des Bundesverfassungsgerichts aufgreift und darüber in der nächsten Legislaturperiode diskutiert?

(Dr. Angelica Schwall-Düren (SPD): Lesen Sie doch mal die Entscheidung!)

Ich werbe bei Ihnen: Legen Sie Ihre Nervosität vor der Bundestagswahl ab! Das ist nämlich ein wichtiges europapolitisches Thema.

(Dr. Carl-Christian Dressel (SPD): Hört! Hört!)

Machen Sie jetzt keinen Klein-Klein-Wahlkampf. Ich meine, es wäre gut, wenn wir den Vorschlag des Bundesverfassungsgerichts in einer Entschließung aufgreifen würden.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich komme zum zweiten europapolitischen Thema, bei dem wir auch angeblich den Rückwärtsgang einlegen.

(Dr. Angelica Schwall-Düren (SPD): Ihr Euroskeptiker!)

Das Bundesverfassungsgericht hat deutlich gemacht, dass der Lissabon-Vertrag für Deutschland nach Maßgabe der Entscheidungsgründe des Bundesverfassungsgerichts gilt. Ich glaube, wir sollten versuchen, unseren Vertragspartnern in Europa diese Interpretation, die für den Deutschen Bundestag und für die Bundesregierung, was ihre Außenwirkung betrifft, bindend ist, in geeigneter Art und Weise mitzuteilen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Viele Mitgliedstaaten der Europäischen Union haben das übrigens schon getan. Bis jetzt haben 15 der 27 Mitgliedstaaten der Europäischen Union eine solche Erklärung abgegeben.

So ist der Deutsche Bundestag übrigens auch vorgegangen, als es um den Vertrag von Maastricht ging. Der Deutsche Bundestag hat zum Vertrag von Maastricht eine Entschließung gefasst, um deutlich zu machen, welch unverzichtbares politisches Gut die Stabilität der Währung bei der Einführung einer gemeinsamen europäischen Währung für uns hat. Darüber waren wir uns im Deutschen Bundestag einig, und dazu hat es eine einvernehmliche Entschließung gegeben, die den Vertragsparteien mitgeteilt worden ist.

Ich bitte die SPD-Fraktion, aber auch alle anderen Fraktionen, eine konstruktive Beratung durchzuführen und zu überlegen, ob wir als Deutscher Bundestag nicht in geeigneter Art und Weise zum Ausdruck bringen sollten: Ja, wir stehen zum Vertrag von Lissabon. Wir wollen den Vertrag von Lissabon. Er entwickelt Europa weiter.

Das Bundesverfassungsgericht hat von der Europafreundlichkeit des Grundgesetzes gesprochen. Für uns gilt der Vertrag von Lissabon allerdings nach den maßgeblichen Gründen der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Wenn das rückwärtsgerichtet oder antieuropäisch sein soll, dann fehlen mir die Argumente. Denken Sie noch einmal darüber nach. Wir werben für den Weg, den ich gerade beschrieben habe.

Eines müssen wir als Deutscher Bundestag sehen: Wir haben jetzt die Chance genutzt, unsere Mitwirkungsrechte auszuweiten. Die Menschen draußen im Lande werden aber auch auf unser Selbstverständnis achten und beobachten, ob wir die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, die wir jetzt minimal abarbeiten, als lästig empfinden oder ob wir die Kraft haben, zu sagen: Das, was uns das Bundesverfassungsgericht aufgegeben hat ‑ dass der Lissabon-Vertrag nach Maßgabe der Entscheidungsgründe gilt ‑, wollen wir unseren Partnern mitteilen, und die Verfahrensvorschläge, die das Bundesverfassungsgericht im Spannungsfeld von EuGH und Bundesverfassungsgericht gemacht hat, in der nächsten Legislaturperiode aufgreifen und ernsthaft darüber diskutieren. Darum geht es uns. Darum wollen wir eine Entschließung.

Es muss doch möglich sein, dies in vernünftige Worte zu kleiden, um nicht nur bezüglich der vier Gesetzentwürfe, sondern auch mit Blick auf das, was darüber hinaus bedenkenswert ist, zu einer gemeinsamen Entschließung des Bundestages zu kommen. Dafür werben wir. Wir bitten Sie, mit der CDU/CSU-Fraktion in konstruktive Gespräche über diese Frage einzutreten.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)

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